Anschlag in Tunesien: Urlauber im Visier
Von Irene Thierjung
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich im Internet zu dem blutigen Terroranschlag auf das tunesische Nationalmuseum am Mittwoch bekannt. Die Bluttat sei "der erste Tropfen eines Regengewitters", drohten die Extremisten in einer am Donnerstag verbreiteten Audio- und Textbotschaft. Die Polizei nahm neun Verdächtige fest. 23 Tote, darunter 20 Touristen, mehr als die Hälfte Kreuzfahrtpassagiere auf Landgang, und 50 Verletzte – nach dem Anschlag in Tunis steht das Land unter Schock. Neben dem Entsetzen über die Brutalität der Todesschützen und der Trauer um die Opfer beschäftigt die Menschen vor allem eines: Wie geht es mit dem Tourismus weiter? Der Fremdenverkehr ist mit sieben Prozent des Bruttosozialprodukts einer der Hauptpfeiler der Wirtschaft, 400.000 der elf Millionen Einwohner leben davon.
Die Urlauber selbst reagieren abwartend. Stornos oder Umbuchungen gab es laut den Reiseveranstaltern TUI und Ruefa zumindest in Österreich vorerst keine, ebenso wenig Heimreisewünsche unter den 500 österreichischen Touristen im Land, für das das Außenamt vor Langem eine partielle Reisewarnung für einzelne Regionen erlassen hat.
Risiko bekannt
Allerdings beginnt die Hochsaison erst im Mai, und nur 40.000 Österreicher pro Jahr zieht es nach Tunesien. Das Gros der Sommerurlauber fliegt nach Spanien, Griechenland und in die Türkei.
Generell lässt sich laut Kathrin Limpel von TUI und Walter Krahl von Ruefa beobachten, dass sich die Touristen an die islamistische Terrorgefahr in Urlaubsländern wie Tunesien gewöhnt haben. "Es gibt kaum mehr Panik, wenn etwas passiert", berichtet Limpel dem KURIER. Außerdem, so Krahl, sei den Österreichern ihr Urlaub "wahnsinnig wichtig". Sie ließen sich nicht von einem Thema wie Terrorismus abhalten. "Es gibt die Erkenntnis, dass es auf der ganzen Welt keinen Platz mit 1000-prozentiger Sicherheit gibt." Das gilt vor allem für touristische Hotspots wie
Ägypten Seit Ende der 90er-Jahre gab es zahlreiche Terroranschläge auf Touristen, wie etwa im Badeort Sharm el-Sheikh am Roten Meer 2005. Während des Arabischen Frühlings brachen die Buchungszahlen ein, derzeit steigen sie wieder stark. Ein Grund laut Limpel: "Das Land ist schon länger aus den Schlagzeilen weg." Das Außenministerium hat eine Reisewarnung für einzelne Regionen erlassen, darunter der Nordsinai und die Saharagebiete, und weist darauf hin, dass die Anschlagsgefahr im ganzen Land hoch ist. Das gilt auch für andere nordafrikanische bzw. arabische Reiseländer wie Marokko, wo es 2011 einen Anschlag auf ein Touristencafé in Marrakesch mit 17 Toten gab.
Jordanien Durch den Bürgerkrieg in Syrien und den Terror des "Islamischen Staates" in Syrien und dem Irak hat sich die Lage im Königreich verschlechtert, vor allem, seit es sich an den internationalen Luftschlägen gegen den IS beteiligt. Das Außenamt spricht von einem "hohen Sicherheitsrisiko" und rät von nicht notwendigen Reisen ab.
Kenia Hier gefährdet vor allem die islamistische Al-Shabaab-Miliz aus dem benachbarten Somalia die Sicherheit (partielle Reisewarnung).
Indonesien In der beliebten asiatischen Destination gilt laut Außenministerium ein "erhöhtes Sicherheitsrisiko", vor allem in der Hauptstadt Jakarta und auf der Insel Bali, wo 2002 bei islamistischen Anschlägen mehr als 200 Menschen starben.
Ein paar kleinere Straftaten, sonst nichts: Viel wissen Tunesiens Sicherheitskräfte nicht über Yassine Labdi, einer der zwei mutmaßlichen Attentäter, die am Mittwoch im berühmten Bardo-Nationalmuseum in Tunis 20 ausländische Urlauber töteten. Der zweite Schütze, Hatem Khachnaoui, ist nicht einmal polizeibekannt.
Ein typischer Fall für Tunesiens islamistischen Untergrund. Der wächst seit Jahren zwar unaufhaltsam, allerdings bisher im Stillen. Instabil aber ruhig, beschrieben Experten noch vor kurzem die Sicherheitslage im Land. Von islamistischen Predigern radikalisiert, zogen die Jugendlichen bisher außerhalb Tunesiens in den heiligen Krieg. Das "Kalifat" der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak ist zur Anlaufstelle für Tausende Kämpfer aus Tunesien geworden.
Das nordafrikanische Land, das sich seit der Revolution bemüht, konsequent den Weg in Richtung Demokratie zu gehen, ist zum wichtigsten Reservoir für IS-Kämpfer geworden. Etwa 3000 Tunesier sollen an der Front im Einsatz sein.
Zwar bemüht sich die Polizei, den Strom an Kämpfern einzudämmen und hat Tausende von ihnen in den vergangenen Monaten an der Ausreise gehindert, doch die weiterhin miserable wirtschaftliche Lage des Landes verschafft den Radikalen immer neuen Nachschub.
Die soziale Kluft zwischen den vor allem touristisch gut entwickelten Küstengebieten und dem armen, rückschrittlichen Landesinneren ist anhaltend groß. Die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Gegenden beträgt nach Schätzungen mehr als 50 Prozent. Sogar gut ausgebildete Uni-Absolventen finden keinen Job. So wächst unter den Jungen die Enttäuschung über die Revolution von 2011 und die Folgen. Das nützen radikale salafistische Prediger, die in etwa einem Drittel der Moscheen und Koranschulen des Landes das Sagen haben. Das Chaos im Nachbarland Libyen erleichtert obendrein den Zugang zu Waffen.