Politik/Ausland

Die letzte Veteranin

"Eine bessere Begleiterin als die Kanzlerin kann ich mir nicht vorstellen."

Wen Barack Obama mit "die Kanzlerin" meint , bedarf keiner Erklärung, dafür müsste Angela Merkel nicht mal neben ihm stehen. Merkel hat den Begriff in sich aufgesaugt, sie verkörpert ihn mit jeder Faser, sie, ihre Hosenanzüge, ihre Frisur – das alles ist die Kanzlerin.

Sie ist die Politikerin, ohne die weder Deutschland noch die Weltpolitik so wären, wie sie jetzt sind, und das mag man positiv oder negativ sehen: Angela Merkel hat ihr Land verändert – und ob sie das weiterhin tun soll, daran scheiden sich die Geister. Heute, Sonntag, soll sie erklären, ob sie nochmals als Kandidatin antritt; und dass Obama sich das wünscht, ist kein Geheimnis, ebenso wie viele in der CDU. Andere, vor allem der politische Gegner weit rechts, würde n dem aber vehement widersprechen. Für viele ist Merkel nicht der nächste "Leader of the free world", sondern das Gesicht weltfremder Politik – ihnen gilt sie noch immer als die "Zonenwachtel", das unbeholfene, sauertöpfische Ost-Mädchen, das nicht weiß, was es im Kanzleramt tut.

Die Männermörderin

Der Begriff, den vor allem die CSU ihr anfangs giftig entgegenschleuderte, verfolgt Merkel bis heute. "Ich konnte den ganzen Tag lang nicht mehr ruhig arbeiten", weil man sie öffentlich so getauft hatte, sagte sie später; doch die "Zonenwachtel", die boshaftere Variante von "Kohls Mädchen", trieb sie auch an. Situationen wie die unter dem übermächtigen Helmut Kohl, der sie 1995 als Umweltministerin vor den Augen des gesamten Kabinetts zum Weinen brachte, sollten sich nie mehr wiederholen. "Ich habe es denen zeigen wollen", sagte sie, da saß sie schon Jahre im Kanzleramt.

Eingelöst hat sie dieses Versprechen mehrfach, mit dem Sturz des "ewigen" Kanzlers Kohl, der sich trotz Spendenaffäre nicht und nicht von seinem Sessel lösen wollte; mit dem Aufdröseln der CDU-Männerseilschaften; mit dem zermürbenden Kampf gegen Gerhard Schröders Ego. Die ungeliebte "Übergangslösung" wurde so zur "Männermörderin". Eiskalt, gnadenlos, brachial sei sie, schrieb etwa die Bildzeitung, weil sie Friedrich Merz, Roland Koch, Karl-Theodor zu Guttenberg, Norbert Röttgen und selbst Wolfgang Schäuble weggedrängt habe. Sie alle hatten Ambitionen aufs Kanzleramt; Merkel aber blieb widerständig. Nach außen hin garstig – wie etwa Schröder – ging sie mit ihren Kritikern dabei aber nie ins Gericht. Selbst beim Abmontieren ihrer Gegner blieb Merkel emotionslos, zum Ärgernis vieler.

Ende einer Ära

Diese nüchterne und ausdauernde Art ist es auch, die ihr auf der großen Bühne Respekt verschafft hat; man sagt ihr nach, dass sie immer die Letzte am Verhandlungstisch ist, auch gern mal bis in die Morgenstunden. Diese Art der Auseinandersetzung scheint heute, im Zeitalter des Postfaktischen, schon fast anachronistisch – so wie Merkel selbst ja auch ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint: Dass sie ihre Karriere neben Tony Blair, George W. Bush und Jacques Chirac begonnen hat, klingt wie eine Erzählung aus grauer Vorzeit. Die "letzte Veteranin" sei sie deshalb, sagte auch Barack Obama: Eine der letzten Vertreterinnen einer Politiker-Generation, die in den Boomjahren der 90er und im Eindruck von 9/11 groß wurde, und die noch das einige Europa und die Macht der Großparteien verkörperte.

Warum ihnen allen das Wasser abgegraben wurde, von linken Globalisierungskritikern ebenso wie von lautstarken Faktenverdrehern wie Donald Trump, kann Merkel in ihrer sachlichen Art kaum erklären. Sie, die die gesamtdeutsche Geschichte in ihrer Biografie trägt, die wie kaum eine andere für die Überwindung der Mauer, der männerzentrierten Politik des 20. Jahrhunderts steht, war ja lange politischer Zufluchtsort für viele: Mit ihren Urlauben in Südtirol und der Uckermark, ihrem unaufgeregten Privatleben, ihrem "Ausgleichssport" Kartoffelpflanzen war sie so deutsch wie man nur sein kann. Dass das mediale Highlight ihres Privatlebens ein Kinobesuch mit Wolfgang Schäuble ist – die beiden sahen sich "Ziemlich beste Freunde an" – beschreibt das bestens.

Doch vielleicht ist es genau das, das "Deutsche", das vor allem im Ausland gern als zuchtmeisterlich wahrgenommen wurde, vermischt mit dem "Ungefähren" ihrer Politik – dem Verwalten, dem Vor-Sich-Herschieben und Nicht-Entscheiden – das die Polarisierung befeuert. Vielleicht war es aber auch das Jahr 2015, das sie nicht unbeeindruckt meisterte, sondern ungewöhnlich emotional werden ließ – dass es nicht Wahlschlappen oder die Wirtschaftskrise waren, die sie ins Wanken brachten, sondern ihr "Wir schaffen das", das ein wenig von dem unsicheren Mädchen von einst sichtbar machte.

Macht Merkel weiter, wird diese Polarisierung ihre größte Herausforderung. Doch auch wenn nicht: Die Kanzlerin – die wird sie immer bleiben, so oder so.