Air Osama: Die Geschichte einer Bruchlandung
Ein riesiges staubiges, verdrecktes Areal, meterhoch eingezäunt von kilometerlangem verrostetem Stacheldraht, an dem sich abertausende bunte Plastiksackerl verfangen haben, dazwischen immer wieder massive Blöcke aus Beton. Von Google Earth aus macht sich der internationale Flughafen von Khartum mit seiner vier Kilometer langen Start- und Landebahn wie eine verkrustete Schürfwunde im Wüstensand aus. Mitten in die Stadt hinein wurde Anfang der Achtzigerjahre der Airport der sudanesischen Hauptstadt gepflanzt, Maschinen donnern nur wenige Meter hoch über bewohntes Gebiet. Flughafenterminal, Hangar und Cargo-Gebäude, gebaut in billiger chinesischer Schuhkartonarchitektur, haben schon bessere Zeiten gesehen.
Entlang des Rollfelds stehen zahllose ausrangierte Flugzeugwracks, die im Sand und Geröll über die Jahrzehnte keiner Logik folgend einfach abgestellt wurden. Darunter ein halbes Dutzend MD-80-Passagiermaschinen der staatlichen Sudan Airways, die mangels Ersatzteilen seit Jahren am Boden ihr Dasein fristen, eine russische Antonow mit gebrochenem Fahrwerk, daneben kleinere Jets und Hubschrauber, deren Herkunft und Typenbezeichnung nur noch schwer auszumachen ist – die brütende Hitze von bis zu 50 Grad im Sommer und Sandstürme haben über die Jahre die Lackierungen vom Metall gescheuert. Mitten unter den Wracks ist auch eine T-39 Sabreliner mit kaputter Schnauze geparkt. Der zweistrahlige Jet des ehemaligen US-amerikanischen Herstellers North American Aviation war Anfang der Neunzigerjahre eines der ersten Privatflugzeuge im Sudan, damals eine Sensation – zumal der Eigentümer Osama Bin Laden hieß.
Erster Privatjet im Sudan
Im Februar 1992 läutet bei Essam Al-Ridi in Arlington, der siebentgrößten Stadt im US-Bundesstaat Texas, das Telefon. Al-Ridi, geboren 1958 in Kairo, amerikanischer Staatsbürger, verheiratet, zwei Kinder, ist Pilot und Fluglehrer. Am Apparat ist Wadi Al-Hage, der Privatsekretär von Osama Bin Laden, der damals in Khartum seine Zelte aufgeschlagen hat. „Al-Hage hat mich beauftragt, für Osama Bin Laden einen Jet zu besorgen, 350.000 Dollar wolle er dafür ausgeben“, wird Al-Ridi am 14. Februar 2001 am Southern-District-Gericht von New York als Kronzeuge im Prozess der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Osama Bin Laden aussagen.
Unter den Angeklagten sind auch Wadi Al-Hage, ein gebürtiger Libanese, verheiratet mit einer zum Islam konvertierten US-Amerikanerin, und vier weitere Al-Kaida-Mitglieder. Sie werden der Beihilfe zu den gleichzeitig ausgeführten Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi, Kenia und Daressalam am 7. August 1998, bei denen mehr als 250 Menschen starben, beschuldigt und später zu lebenslanger Haft verurteilt.
Al-Ridi lernte Osama Bin Laden und Wadi Al-Hage 1982 in Afghanistan kennen, kämpfte an ihrer Seite gegen die sowjetischen Besatzer, hatte den Auftrag, Waffen und Material, darunter Nachtsichtgeräte, Fliegerabwehrraketen und Munition, für die Mudschahedin von Pakistan nach Afghanistan zu fliegen. Al-Hage wohnte selbst einige Zeit in Arlington, auch dort hatten die beiden Kontakt. „Ich war nie Mitglied von , kannte Bin Laden aber gut. Er war damals noch kein Terrorist“, sagte Al-Ridi dem Staatsanwalt. 1985 verließ er Afghanistan und ging zurück in die USA, der Kontakt mit Osama und seinen Gefolgsleuten sollte aber über die Jahre weiter bestehen.
Wenige Wochen nach Wadi Al-Hages Anruf aus Khartum fand Al-Ridi eine gebrauchte Maschine. „Der Preis war Osama dann aber doch zu hoch. Al-Hage meinte, dass man nur noch 250.000 Dollar zur Verfügung habe, sie mit dem Jet vor allem Stinger-Raketen von Pakistan in den Sudan bringen wollten und die Maschine eine Reichweite von mindestens 2.000 Meilen haben sollte“, gab Al-Ridi zu Protokoll. Mit der FIM-92 Stinger, einer infrarotgelenkten Luftabwehrrakete des US-Herstellers Raytheon, die von der Schulter aus abgeschossen werden kann, lassen sich zielsicher Flugzeuge und
Hubschrauber, die in geringer Höhe fliegen, herunterholen.
Die Kommunikation zwischen Al-Hage und Al-Ridi verlief dabei ständig über den privaten Telefonanschluss Al-Ridis. Dass die Gespräche nicht mitgehört wurden, war lediglich eine Panne, die den amerikanischen Geheimdiensten in diesem Fall passierte.
Über einen Mittelsmann trieb Al-Ridi wenig später eine ausgemusterte North American T-39, Baujahr 1964, im Aerospace Maintenance and Regeneration Center, dem zentralen Lager der US-Streitkräfte für stillgelegte Flugzeuge in Tucson, Arizona, auf. Die T-39 war die militärische Variante des auch unter dem Namen Sabreliner bekannten Businessjets, der Name bedeutet „säbelförmig“. Spannweite 13,56 Meter, Länge 13,42 Meter, Platz für sieben Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder, angetrieben von zwei Pratt-&-Whitney-JT12-Strahltriebwerken, die eine Höchstgeschwindigkeit von 885 km/h bei einer maximalen Reisehöhe von 12.200 Metern und eine Reichweite von 4.020 Kilometern erlauben. Rund 800 Maschinen wurden gebaut, 1982 wurde die Produktion eingestellt.
Al-Ridi zahlte 230.000 Dollar für den Jet, 10.000 Dollar steckte er in die Generalüberholung. „Es musste einiges neu gemacht werden, die komplette Funkanlage wurde getauscht, ich habe die Maschine umlackiert und dann als ziviles Flugzeug bei der FAA (US-Luftfahrtbehörde, Anm.) registrieren lassen“, sagte Al-Ridi. Das Geld für den Flieger wurde von einem Konto der Al-Shamal Islamic Bank in Khartum auf Al-Ridis Privatkonto bei der Bank of America in Dallas, Texas, überwiesen. Acht Prozent Vermittlungsprovision behielt er ein.
Die Maschine durfte die USA eigentlich nicht verlassen
Al-Ridi überstellte den Sabreliner selbst. Bei einer Reichweite von 4.020 Kilometern war ein Nonstop-Transatlantikflug unmöglich. Am 3. April 1991 hob Al-Ridi vom Flughafen Fort Worth in Dallas Richtung Norden ab. Seine Route in den Sudan: Sault Ste. Marie an der kanadischen Grenze, Frobisher Bay im Nordosten Kanadas, Lucan in Irland, Rom, Kairo, Khartum. Für den Trip plante Al-Ridi zwei Tage ein, es sollten mehr als zehn werden. Wie die Maschine überhaupt die USA verlassen konnte, ohne der amerikanischen Luftraumüberwachung aufzufallen, sollte noch Jahre später die amerikanischen Behörden beschäftigen. Die T-39 war als ehemaliges Militärflugzeug für Flüge außerhalb der USA nicht zugelassen.
In Frobisher Bay herrschten Temperaturen von minus 50 Grad, erzählte Al-Ridi, bei der Landung bekam die Frontscheibe Risse, zudem versagte die Hydraulik. Der Pilot wartete eine Woche lang auf Ersatzteile, den Rest des Trips konnte er problemlos bewältigen. In Khartum erwartete ihn schon Wadi Al-Hage. „Wir sind in seinem Haus gegessen und wurden am Abend zum Gästehaus von Osama Bin Laden gebracht“, berichtete Al-Ridi. Der im vergangenen Jahr im pakistanischen Abbottabad getötete Terrorpate Osama wohnte damals mit seiner Entourage in der Al-Mashtal Street im Al-Riyadh-Viertel von Khartum, nur wenige Minuten vom Flughafen entfernt. Noch heute erinnern sich die Bewohner an die bärtigen Männer, die wie die Heuschrecken Anfang der Neunzigerjahre in der sudanesischen Hauptstadt einfielen und mit Kalaschnikows um ihre Schultern die Gegend kontrollierten.
Osama war im Sudan ein gern gesehener Gast. Nachdem er in Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets nichts mehr zu tun hatte und in seinem Herkunftsland Saudi-Arabien wegen Hasspredigten gegen das Königshaus und den Westen mit Einreiseverbot belegt worden war, nahm ihn das sudanesische Regime Anfang der Neunzigerjahre mit offenen Armen auf. Bin Laden zeigte sich als großzügiger Investor, baute Straßen, unter anderem die Autobahn von Khartum nach Port Sudan, investierte in Sonnenblumenfarmen, war Arbeitgeber hunderter Sudanesen. Dass er nebenbei seine Terrororganisation weiter aufbaute, wurde von der Regierung toleriert. Unter anderem ließ Osama nördlich von Khartum ein Terrorcamp für die Ausbildung neuer Al-Kaida-Mitglieder einrichten.
Osama Bin Laden habe ihm bei einem eher kargen Abendessen einen Job als Chefpilot angeboten, berichtete Al-Ridi. Monatliches Gehalt: 1.200 Dollar. Der Pilot lehnte ab. „Das Leben in Khartum ist teuer. Außerdem war mir das Risiko zu hoch, Waffen zu befördern, ohne zu wissen, ob es Genehmigungen dafür gibt.“ Osama antwortete, dass sie genug Leute in Pakistan und dem Sudan hätten, die alle Formalitäten für sie erledigen würden, und er sich keine Sorgen machen müsse. Außerdem würde er keinem seiner Angestellten mehr Gehalt zahlen.
Allerdings habe er als Pilot große Angst gehabt, dass es mit dem Flugzeug einen Zwischenfall geben könnte und er in einem Drittland mit einer Ladung illegaler Waffen an Bord zwischenlanden müsste, berichtete Al-Ridi vor Gericht. „Ich habe Osama auch gesagt, dass ich nicht glaube, dass er die Fähigkeiten eines militärischen Führers mitbringt, sondern ein Geschäftsmann sei.“ Am nächsten Morgen übergab er Wadi Al-Hage die Papiere und Schlüssel des Flugzeugs und flog mit einer Linienmaschine der KLM über Kairo zurück in die USA.
Mit der T-39 wurden Terroristen nach Kenia geflogen
Wenige Monate danach wurde Al-Ridi erneut nach Khartum beordert. Der Auftrag lautete, fünf Passagiere nach Nairobi in Kenia zu fliegen. Die T-39 war in einem guten Zustand. Obwohl sie über Monate nicht bewegt worden war, war sie nach kleineren Reparaturen flugtauglich. Die Passagiere kannte Al-Ridi nicht. „Zwei waren wie Saudis, einer wie ein Jemenit gekleidet, die anderen beiden trugen westliche Kleidung.“ US-Behörden konnten später beweisen, dass es sich um führende Al-Kaida-Mitglieder handelte, die die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam vorbereiteten. Al-Ridi blieb zwei Nächte in Nairobi, flog die Maschine leer nach Khartum zurück. Er konnte noch beobachten, wie seine fünf Passagiere mit einem Propellerflugzeug des Typs Beechcraft King Air weiterflogen. Ziel unbekannt.
Im November 1993 sollte er noch einmal in den Sudan fliegen. Al-Ridi hielt sich damals in Ägypten auf, wo er als Fluglehrer einige Jobs hatte. Wadi Al- Hage rief ihn diesmal aus Nairobi in Kenia an, wo er auch im Jahr 2000 verhaftet und an die USA ausgeliefert wurde. Er arbeite nicht mehr für Osama, sagte er, sei aber beauftragt worden, die T-39 zu verkaufen. Al- Ridi solle sich in Kairo umhören, ob es Interessenten gebe. „Ich war mir aber nicht sicher, ob ich in Kairo die Maschine loswerden würde. Osama Bin Laden stand unter Beobachtung des ägyptischen Geheimdienstes, der über seine Aktivitäten im Sudan bestens Bescheid wusste“, sagte er vor Gericht. Um nicht aufzufallen, vermied es Al-Ridi, direkt von Kairo nach Khartum zu fliegen, und wählte die Route über Nairobi. Dort traf er sich mit Wadi Al-Hage, der angab, für eine deutsche Vermessungsfirma zu arbeiten. Am 15. November 1993 reiste Al-Ridi weiter in die sudanesische Hauptstadt weiter. Dort fand er die T-39 in einem katastrophalen Zustand vor. „Die Reifen waren platt, die Triebwerke voller Sand, die Batterie leer, die Hydraulik komplett hinüber“, erzählte er vor Gericht.
Gemeinsam mit einem zweiten Piloten, der in Bin Ladens Sold stand, versuchte er die Maschine wieder flugtauglich zu bekommen. „Wir wechselten die Räder, reinigten die Triebwerke, checkten den Jet komplett durch. Aber es gab in Khartum keine Ersatzteile, also flickten wir das Flugzeug notdürftig zusammen.“ Osama Bin Laden, der bis 1994 im Sudan leben sollte, hat er in dieser Zeit nicht zu Gesicht bekommen. „Beim Versuch, das linke Triebwerk zu starten, kamen Stichflammen heraus, Sand hat sich entzündet, aber es ist nichts weiter passiert, der rechte Motor lief problemlos“, berichtete Al-Ridi. Er entschied sich für einen Probeflug. „Der Sabreliner lag gut in der Luft, die Triebwerke liefen zwar nicht perfekt, die Leistung war aber in Ordnung. Wir hatten Probleme mit der Stromversorgung, einige Instrumente fielen immer wieder aus.“
Osama hätte mich getötet
Al-Ridi setzte das Flugzeug nach einer halben Stunde wieder auf, entschied sich aber, gleich nochmals durchzustarten. „Je länger die Maschine in der Luft war, desto besser wurde die Leistung der Turbinen. Ich war zufrieden und wollte die Maschine landen.“ Beim Aufsetzen kam es zur Beinahekatastrophe, das Bremssystem versagte vollständig. „Ich versuchte, die Maschine mit Gegenschub zu verlangsamen, aber es passierte rein gar nichts.“ Die T-39 schoss über die Landebahn hinaus, ein-, zweihundert Meter durch Sand und Geröll. „Ich schrie den Co-Piloten noch an, er solle sich festhalten, aber der starrte nur fassungslos nach vorne“, sagte Al-Ridi. Wenige Sekunden später krachte der Jet in eine Sanddüne, blieb darin stecken, Kerosin lief aus, Rauch im Cockpit, die Schnauze war komplett eingedrückt.
„Der Aufprall war heftig, wir blieben aber unverletzt. Wir hatten Glück, das Flugzeug fing nicht an zu brennen.“ Was dann passiert sei, fragte ihn der Staatsanwalt am Southern-District-Gericht von New York. „Ein paar Leute halfen uns aus dem Flugzeug und brachten uns zum Terminal zurück. Ich nahm mir dort gleich ein Taxi und ließ mich ins Hilton bringen, wo ich während der Tage in Khartum gewohnt habe, packte meinen Koffer und fuhr zurück zum Flughafen.“ Dort nahm Al-Ridi die nächste Maschine Richtung Äthiopien.
Warum er so schnell geflüchtet ist? „Ich habe Osama bin Ladens Flugzeug geschrottet, er hätte mich mit Sicherheit töten lassen.“
Die Geschichte ist eine Zweitveröffentlichung, sie wurde erstmals im Monatsmagazin DATUM veröffentlicht.