Ägypten: "Wir gehen nicht, Tantawi geht"
Von Stefan Galoppi
Tantawi ist Mubarak in Militäruniform." So kommentierte ein Demonstrant auf dem Kairoer Tahrir-Platz die Fernsehansprache des Feldmarschalls, der dem herrschenden Militärrat vorsteht. So wie der gestürzte Langzeit-Präsident Hosni Mubarak bei den Protesten im Februar, so gehe auch der Armee-Chef jetzt nicht auf die Forderungen des Volkes ein. "Wir gehen nicht, er geht", skandierte die Menge auf dem Platz. Tantawis Versuch, die neue Protestwelle zu besänftigen, ist vorerst gescheitert.
Auch wenn die Zahl der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz am Mittwoch zurückging, so hielten doch weiter Tausende den symbolträchtigen Platz im Zentrum der Hauptstadt besetzt. In den Seitenstraßen kam es erneut zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Krankenwagen schafften Verletzte in die Spitäler. Besonders umkämpft war der Zugang zum hoch gesicherten Innenministerium. Laut Augenzeugen wollten einige Demonstranten das Gebäude stürmen und in Brand setzen, wurden aber zurückgedrängt.
"Überzogene Gewalt"
Der Zorn der Menschen richtet sich zunehmend auf die Polizisten, die brutal Tränengas und Gummigeschosse einsetzen. Vereinzelt soll auch mit scharfer Munition geschossen worden sein. Unruhen gab es nicht nur in Kairo, sondern auch in anderen ägyptischen Städten. In Alexandria kamen dabei zwei Männer ums Leben. In der Provinzstadt Tanta erstickte ein neun Monate alter Säugling, als die Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen Demonstranten vor dem Polizeihauptquartier vorgingen.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach gestern von mindestens 30 Toten und Hunderten Verletzten seit Samstag und von "eindeutig überzogener Anwendung von Gewalt" seitens der Sicherheitskräfte. So seien bereits am Boden liegende Demonstranten zusammengeschlagen, einem Unbewaffneten sei in den Kopf geschossen worden.
Armee-Budget ziviler Kontrolle entzogen
Tantawi hatte Dienstagabend angekündigt die Präsidentenwahlen auf Juni 2012 vorzuziehen und dann die Macht sofort abzugeben. Die Parlamentswahlen sollen wie geplant am Montag beginnen und in drei Phasen bis Jänner abgeschlossen werden. Den Demonstranten reicht das nicht. Sie fordern Tantawis sofortigen Rücktritt. Viele bezweifeln, dass im gegenwärtigen Klima von Misstrauen und Gewalt faire Wahlen wirklich durchführbar sind. Mehrere Parteien haben bereits ihre Teilnehme abgesagt. Außerdem ist unklar, ob die neue Verfassung die Macht des Präsidenten nicht stark beschneiden wird.
In einem ersten Entwurf haben die Militärs sich und ihr Budget jeder zivilen Kontrolle entzogen - einer der Auslöser der Proteste. Die Armee hält große Anteile an Staatsfirmen und kontrolliert Teile der Rohstoffindustrie. Die neuen Unruhen haben gravierende Auswirkungen: Die Aktienkurse fallen, Touristen sagen Reisen ab, Investoren sind beunruhigt.
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