100 tote Zivilisten in Syrien: "Lage völlig außer Kontrolle"
Bei den heftigen Angriffen auf das syrische Rebellengebiet Ost-Ghouta nahe Damaskus sind am Montag Aktivisten zufolge mindestens 100 Zivilisten getötet worden. Dabei handle es sich um die höchste Opferzahl an nur einem Tag seit drei Jahren, teilte die oppositionsnahe Syrische "Beobachtungsstelle für Menschenrechte" am Dienstag mit. Unter den Toten seien mehr als 20 Kinder und 15 Frauen.
Flugzeuge und Hubschrauber hätten Dutzende Angriffe auf Ost-Ghouta geflogen. Das Gebiet sei zudem mit Artillerie beschossen worden. Die Beobachtungsstelle mit Sitz in London stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien. Von unabhängiger Seite sind ihre Angaben nur schwer zu überprüfen.
Armee bereite Bodenoffensive vor
Nach Einschätzung der Aktivisten bereitet die Armee eine großangelegte Bodenoffensive gegen die seit Jahren belagerte Region vor. "Das Regime bombardiert Ost-Ghuta, um den Weg für eine Bodenoffensive zu bahnen", sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman. Die in Großbritannien ansässige Organisation bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien. Ihre Angaben können von unabhängiger Seite nur schwer überprüft werden.
In der Stadt Hammurije rannten die Bewohner in Panik in ihre Häuser, sobald sie den Lärm von Flugzeugen hörten. Der 23-jährige Alaa al-Din sagte, die Bewohner fürchteten sich vor der möglichen Offensive. Das Schicksal der Region sei völlig unklar. "Uns bleibt nichts anderes, als auf Gottes Gnade zu hoffen und uns in unseren Kellern zu verstecken. Wir haben keine Alternative."
Tote und weinende Kinder
Die Angriffe trafen auch die Stadt Duma, in der ein AFP-Korrespondent beobachtete, wie fünf mit Staub bedeckte, weinende Kleinkinder in ein Krankenhaus gebracht wurden. Ein Vater schlug sich beim Anblick seiner zwei toten Kinder verzweifelt mit den Händen gegen die Stirn, ein anderer brach in Tränen aus, als er den leblosen Körper seines neugeborenen Kindes auf einer Decke neben einer Blutlache erblickte.
Die humanitäre Lage der Zivilisten in Ost-Ghuta ist völlig außer Kontrolle
Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, Panos Mumtsis, forderte ein sofortiges Ende der Luftangriffe auf Ost-Ghuta. "Die humanitäre Lage der Zivilisten in Ost-Ghuta ist völlig außer Kontrolle", erklärte er. "Es ist zwingend erforderlich, dieses sinnlose menschliche Leiden zu beenden."
Ost-Ghuta, die letzte Rebellenhochburg in der Nähe von Damaskus, wird überwiegend von zwei Islamistengruppen kontrolliert, an einzelnen Stellen ist jedoch auch das Jihadistenbündnis Hajat Tahrir al-Sham aktiv. Die syrische Regierung will die Kontrolle über das Gebiet zurückerlangen, von dem aus immer wieder Raketen und Mörsergranaten auf die Hauptstadt gefeuert werden.
Nach Angaben von AFP-Korrespondenten wurde die syrische Hauptstadt am Sonntag von etwa sechs Raketen getroffen. Der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge wurde dabei ein Mensch getötet.
400.000 Menschen leben unter Belagerung
Anfang Februar hatte die syrische Armee den Druck auf Ost-Ghuta verstärkt, wo rund 400.000 Menschen seit dem Jahr 2013 unter Belagerung leben und sich die humanitäre Lage zunehmend verschlechtert. Binnen fünf Tagen wurden dort laut der Beobachtungsstelle mehr als 245 Zivilisten durch Luftangriffe getötet, bei Gegenangriffen auf Damaskus gab es rund 20 Tote.
Eigentlich gilt in Ost-Ghuta eine regionale Waffenruhe zwischen Rebellen und Regierungstruppen, doch besteht die von Russland, dem Iran und der Türkei vermittelte sogenannte Deeskalationszone nur noch auf dem Papier. In dem seit fast sieben Jahren andauernden Krieg in Syrien wurden bereits mehr als 340.000 Menschen getötet.