Neuer VW Golf: Eh wie immer – nur jetzt eben besser
Als am 29. März 1974 im VW-Werk in Wolfsburg offiziell die Produktion des künftigen Bestsellers anlief, ahnte an diesem Tag vermutlich niemand, dass der Nachfolger des legendären Käfers bis heute mehr als 35 Millionen Mal gekauft werden würde. Befand sich der Konzern doch in einer tiefen Krise, weil das viel zu lange Festhalten am Technik-Fossil Käfer das Unternehmen in eine existenzbedrohende wirtschaftliche Schieflage manövriert hatte.
Begleitend zur Golf-Premiere war zwar lobend vom neuen Konzept – Frontantrieb, kompakte Maße, große Heckklappe – die Rede, aber auch davon, dass das Auto ein, wie es hieß, Hoffnungsträger sei: Bezeichnend für die damalige, nicht undramatische Lage, in der sich VW befand.
Von einem Hoffnungsträger, der das Unternehmen weder zurück auf die alte Erfolgsspur führen muss, spricht heute niemand. Trotzdem sind die Erwartungen groß: Wieder groß, muss man sagen, steht doch der Konzern, vom Dieselbetrug und Klagen unzufriedener Kunden sowie von Strafzahlungen gebeutelt, vor einer schwierigen Herausforderung: Der Gift-Cocktail aus Abgasbetrug, autonom fahrenden Autos, neuen Mobilitätsmodellen und aktuell vor allem wegen China weltweit sinkende Verkaufszahlen kostet viel Geld. Da muss der jüngste Golf einen kapitalen Beitrag leisten.
Bekannte Golf-DNA
Nach ersten Testkilometern am Steuer der Nummer Acht muss festgestellt werden, dass das der Namensgeber eines ganzen Segments spielend schaffen wird. Stilistisch steht der neue Golf für einen, sagen wir, eher nur evolutionären Ansatz. Beim ersten Anblick wird also niemand in kollektive Schnappatmung verfallen, weil das Auto ebenso statusneutral, quotenverträglich und allürenfrei auf der Straße steht wie seine sieben Vorgänger.
Es ist daher in erster Linie die unaffektierte Eleganz, die den neuen Golf auszeichnet. Auch dieser Golf ist also auf Anhieb als Golf zu erkennen. Und auch der Golf Neun, wann immer es ihn geben wird, wird ein und dieselbe Optiksprache sprechen.
Dass die Nummer Acht nun um knapp drei Zentimeter länger ist, als der Vorgänger fällt kaum auf, wohl aber die um dreieinhalb Zentimeter niedrigere Silhouette. Der mit 2,62 Meter gleich gebliebene Radstand offeriert auch groß gewachsenen Mitreisenden im Fond opulente Raumverhältnisse. Weit öffnende, mit sattem Klang schließende Türen ermöglichen bequemen Einstieg nach hinten.
Agil und dynamisch
Was bei der ersten Kontaktaufnahme noch aufgefallen ist: Die sportlich-präzise Lenkung sorgt in Kurven aller Radien für zackige Direktheit, selbst auf kleinste Lenkbewegungen erfolgen spontane Reaktionen ohne jegliche Nervosität, die das Einhalten einer sauberen Linie verhageln könnten. Das gekonnt abgestimmte Fahrwerk filtert Sünden der Straßenbauer souverän weg, das Auto bleibt in schnell gefahrenen Kurven lange neutral und braucht erst spät Elektronikhilfe des dann sanft, aber bestimmt eingreifenden ESP: Den großen Agilitätsorden, ebenso gern wie oft verliehen an die zahlenmäßig kleine Heckantriebsfraktion, darf sich der Golf jedenfalls mit allem Recht an den schmalen, von LED-Scheinwerfern flankierten Kühlergrill kleben lassen.
Das butterweich zu schaltende neue 6-Gang-Schaltgetriebe – alternativ dazu gibt’s auch ein 7-Gang-DSG – schließlich reiht sich nahtlos in das Ensemble der präzisen Bedienelemente ein.
Das gilt auch für jene im radikal umgestalteten, jetzt volldigitalisierten Cockpit, in dem es kaum mehr Knöpfe und Schalter gibt. An ihre Stelle treten berührungsempfindliche Softtouch-Tasten, die über sogenannte Slider bedient werden: Möchte der Golf-Pilot zum Beispiel eine höhere Raumtemperatur, muss er nur mit dem Finger über die betreffende Schaltebene wischen. Das funktioniert zugegebenermaßen perfekt, lenkt aber leider trotzdem vom Verkehrsgeschehen ab. Strukturkonservative Zeitgenossen werden das nicht gerade mit überschwänglichem Jubel quittieren.
VW offeriert für die Generation Acht nicht nur viel Elektronik – bordeigene Internet-Verbindung, Always-on-Konnektivität, Car2X-basierte Schwarmintelligenz – sondern auch ein wahres Füllhorn an Antriebsvarianten: Alle – wie der vom Motor-KURIER stellvertretend probierte 1,5-TSI-Turbobenziner mit 130 oder wahlweise 150 PS – sind mit hoch effizienten Euro 6d-Temp-Abgasreinigungstechnologien ausgestattet, die TDI-Diesel mit SCR-Katalysator und – als Novum – gleich doppelter Harnstoff-AdBlue-Einspritzung.
Schon in Ordnung so, ausgerechnet VW hat da ja bekanntermaßen viel gutzumachen.
Der Golf ist im Kompaktwagensegment seit Anbeginn im Spitzenfeld zu finden: Österreichs beliebtestes Auto lag von 1978 bis Mai ’19 durchgehend auf Platz 1 seiner Klasse.
Abmessungen: Länge/Breite/Höhe (in mm): 4282 (+26)/1789 (-1)/1456 (-36); Radstand: 2619 mm.
Motorisierungen: Benziner: 1,0 TSI/90 PS und 110 PS, 1,5 TSI/130 PS und 150 PS, 2,0 TSI/190 PS/245 PS/300 PS/333 PS.
Diesel: 2,0 TDI/115 PS, 150 PS/200 PS.
Mild-Hybrid: 1,0 eTSI/110 PS, 1,5 eTSI/130 PS.
Plug-in-Hybrid (PHEV): 1,4 TSI/205 PS und 245 PS.
Erdgas (CNG): 1,5 TGI/130 PS.
Getriebe: Je nach Modell/Motor/Ausstattung 6-Gang-Manuell (65 %) oder 7-Gang-Direkt-Schalt-Getriebe (DSG/35 %).
Erwarteter Motorenmix: Benziner: 50,5 %, Diesel: 30 %, PHEV: 6 %, Mild-Hybrid: 10,5 %, TGI: 3 %.
Ausstattungslinien: Trendline/Highline/Comfortline gibt es nicht mehr, an ihre Stelle rücken Golf (Basis)/Life und Style; plus einer sportlichen R-Version.
Preise: Stehen im Moment noch nicht fest, der Startpreis (1,0 TSI/90 PS) wird aber knapp unter € 22.000,– liegen.
Markteinführung: März 2020; im Lauf des nächsten Jahres werden GTI, GTI-TCR, GTD und Golf R nachgereicht. Ende 2020: Markteinführung des Golf Variant (Kombi).
Der Fahrzeugbestand an VW Golf in Österreich liegt bei rund 375.000 Stück, das sind 7,5 % des heimischen Pkw-Fahrzeugbestandes; seit der Modelleinführung 1974 wurden vom Golf (per Ende Oktober 2019) insgesamt 934.000 Stück in Österreich neu zugelassen.