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Bahnfahrt mit dem ÖBB-Chef: Warum steigen Sie aufs Rad um, Herr Matthä?

Die Bahn erfindet sich neu. Für ÖBB-Boss Andreas Matthä, Eisenbahner in fünfter Generation, „ein Muss, wollen wir die Welt besser machen.“ Mit Energiewenden hat man bei der Bahn Erfahrung: Vor hundert Jahren vollzog man den Wechsel von Kohle auf Strom, jetzt geht es hin zu null Emission und zum umfassenden Mobilitätsanbieter. Die Bahn will mehr sein als ein Zug auf Schienen. Warum eigentlich? Erklären kann das der Bahn-Boss selbst. Wir treffen ihn zu einer Zugfahrt, fahren gemeinsam Richtung Norden. Ziel: Korneuburg. Dort ist der Bahnhof jetzt ein Mobilitätshub. Zug fährt ab.

KURIER: Zug, Auto, Rad, Scooter: Womit fahren Sie selbst am meisten?

Andreas Matthä: Ich bin da pragmatisch. Was gerade am komfortabelsten ist. Den Zug habe ich am liebsten, weil es ist geschenkte Zeit.

Das müssen Sie jetzt sagen.

Es ist wirklich so. Aber ich fahre auch gern mein Elektroauto. Das ist in der mittleren Distanz sehr angenehm.

Sie fahren seit Dezember E-Auto. Ihre Erfahrungen?

Dass zwischen Sommer und Winter in der Reichweite ein großer Unterschied ist. Dass man immer ein bisschen rechnen muss, ob man auch wieder zurückkommt. Aber das Fahrgefühl finde ich besser: Es ist wie Bahnfahren.

Sie leben den Wandel. Und sagen, Energiewende und Verkehrswende gehören zusammen.

Ich muss ehrlich sagen: Der Klimawandel ist spürbar da. Ich sehe als Techniker, wie sich alles dynamisiert. Wie wir etwa die Durchflussquerschnitte bei unseren Brücken erweitern müssen. Wie Bäume neben der Bahntrasse bei Wind umkippen. Es tut sich was – und ich will meinem Enkerl eine lebenswerte Welt hinterlassen. Uns war, vor dem Phänomen Greta Thunberg, nicht bewusst, wie groß dieses Thema wird. Aber wir sehen das mittlerweile als Wettbewerbsvorteil: Die Bahn verwendet nachhaltige Energie, fährt mit grünem Strom.

Die Bahn produziert Energie sogar selbst, heuer kommt das erste Windkraftwerk dazu, das Strom direkt in die Fahrleitungen einspeist.

Aktuell produzieren wir 40 Prozent des Stroms selbst. Hinzu kommen Partnerkraftwerke, die Bahnstrom machen – ergibt zusammen 70 Prozent. Der Rest kommt aus Donaukraft und Fotovoltaik. Bis 2030 investieren wir eine Milliarde Euro, um den selbst produzierten Anteil zu erhöhen.

Die ÖBB befördert täglich rund eine Million Passagiere. Wie weit kann man Kapazitäten ausbauen?

Bis 2040 wollen wir die Kapazitäten verdoppeln. Durch Bahnausbau, durch Digitalisierung und durch Fahrzeuge, die mehr Passagiere fassen, also etwa mit Doppelstockfahrzeugen.

Wir passieren die Stadtgrenze, sind plötzlich allein im Zug. Hier, im Weinviertel, wohnt Andreas Matthä. Der gebürtiger Kärntner hat sich in Gerasdorf niedergelassen. „Reiner Zufall“, sagt er. „Eine schöne Gegend zum Radfahren.“

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Zugfahren ist wieder in. Ein Glück für einen Bahnchef.

Stimmt, Zugfahren ist wieder in, wir haben aber auch viel dazu beigetragen. Fahrzeiten verringert, die Qualität verbessert, Züge modernisiert. Strecken wie Wien–Salzburg oder Wien–München will man nicht mehr mit dem Auto fahren und auch nicht fliegen. Auf der Weststrecke sind die Fahrgastzahlen explodiert. Das erwarte ich mir auch für die Südstrecke, wenn der Semmering-Basistunnel fertig ist.

Nicht alles ist gut: Weil ein europäisches Ticketing-System fehlt und es keinen durchgängigen europäischen Schienenverkehr gibt.

Da stimme ich zu. Wir sehen gerade auf der europäischen Ebene, dass noch viel zu verbessern ist. Die Liberalisierung vor zehn Jahren hat dazu geführt, dass sich die Bahngesellschaften gegeneinandergestellt haben. Das hat viel zerstört, was wir jetzt mühsam wieder aufbauen.

Die ÖBB wollen künftig komplette Mobilitätslösungen anbieten. Können Sie das?

Unser Kerngeschäft wird immer unser Kerngeschäft sein. Es nützt aber nichts, wenn ich an einem Bahnsteig aussteige und nicht weiß, wie ich weiterkomme. Wir wollen ein Konzept von Tür zu Tür anbieten.

Nächster Halt Korneuburg. Wir steigen aus und steigen um auf E-Bikes. Matthä zeigt uns, was es in Korneuburg alles gibt: Autos, Fahrräder, Scooter. Alles buchbar über die wegfinder-App. Matthä wählt das Rad, wir fahren durch Korneuburg zum Café beim Rathaus.

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Warum werden Sie ein Komplettanbieter? Fluglinien machen das ja auch nicht.

Weil ich glaube, dass die Menschen diese Sicherheit brauchen. Wir wollen sie nicht am Bahnsteig stehen lassen. Das wird dazu führen, dass mehr Menschen den Zug nehmen. Dass sie ihr Zweitauto aufgeben und vielleicht sogar auch das Erstauto.

Für das Tür-zu-Tür-Konzept brauchen Sie Partner.

Ja, weil wir nicht alle Mobilitätsformen in unserem Eigentum haben können. Wir wollen vor allem die Plattform stellen, auf der man alles organisieren kann. Das soll zum Umsteigen anregen.

Wie sehr tangieren den Bahnchef aktuell eigentlich die Energiepreise?

Massiv.

Erhöht das bald die Ticketpreise?

Noch nicht. Wir haben in Österreich Strom gehedgt, das bedeutet für heuer ein blaues Auge. Aber ich habe da ein generelles Thema: Der Strompreis hängt am Gaspreis, wir haben aber kein Gas, sondern fahren nur mit grünem Strom. Das muss man debattieren.

Aber die ÖBB haben doch auch eine Gasrechnung.

Ja, aber wir brauchen wenig, nur für Heizungen in Gebäuden. Da wollen wir auch raus. Für uns ist es ja die zweite Energiewende: Vor hundert Jahren raus aus Kohle, jetzt raus aus Öl und Gas.

Seit Oktober gibt es das Klimaticket, es wurde über 150.000-mal verkauft. Gilt: Je höher die Benzinpreise, desto mehr Bahnpassagiere?

Kurzfristig nicht, aber langfristig ja. Weil viele bei angespannten Benzinpreisen das Autofahren überdenken.

Mit dem Rad geht es zurück zum Bahnhof, spät dran, weshalb wir zum Zug laufen müssen. Der wartet auch nicht auf den Chef.

Neue Services
Die ÖBB denken um: Bahnfahren bleibt zentral, ins Angebot kommen aber  auch Autos, E-Bikes und Scooter für die „letzte Meile“  

4 Mobilitätshubs
gibt es derzeit:   Korneuburg, Leoben, Waidhofen/Ybbs und Bad Ischl. Bald kommt Zell am See dazu. Buchen kann man das gesamte Angebot über die wegfinder-App

Umbauarbeiten
Die Neuausrichtung intern ist ein großes Projekt:  Aktuell haben die ÖBB 42.000 Mitarbeiter, 40 Prozent gehen in bald in Pension. Rund   17.000 neue Mitarbeiter werden aufgenommen. Der Vorteil sei, dass eine   Generation kommt, die auch neue Fähigkeiten hat