Ausfahrt mit dem Porsche Taycan 4S: Elektrisierende Schneekanone
Von Maria Brandl
Levi nördlich des Polarkreises in Finnland Anfang Dezember. Es ist 8 Uhr Früh, das Thermometer zeigt minus 8 Grad Celsius, auf dem Hotelparkplatz stehen die Porsche Taycan 4S von riesigen Flutlichtanlagen bestrahlt bereit für ausgewählte Journalisten aus Mitteleuropa, die den E-Sportwagen auf seine Winterfitness testen sollen.
Die Autos sind vorgewärmt, die Ladeanzeige zeigt 100%, die Reichweite wird mit 277 km angegeben. Das ist weit entfernt von der im EU-Testzyklus WLTP angegebenen Normreichweite von bis zu 463 km, ist aber den Rahmenbedingungen geschuldet: vor allem der deutlich tieferen Temperatur als beim Normzyklus.
Schneefahrbahn
Der erste Teil des Wintertests ist eine rund 145 km lange Fahrt auf öffentlichen Straßen von Levi zum Porsche-Wintertestzentrum. Die Straßen im Norden Finnlands sind nicht gesalzen, sondern wunderschöne Schneefahrbahnen mit griffigem Schnee.
Gestartet wird per Druck auf einen Knopf links vom Lenkrad, die Gänge werden über einen kleinen, versteckten Schieber rechts unter dem Lenkrad gewählt.
Der Taycan 4S ist mit Winterreifen ohne die bei den Einheimischen üblichen Spikes bestückt. Aber Traktionsprobleme auf den weitgehend geraden und ebenen Schneestraßen hat der Taycan 4S dennoch keine. Wilde Beschleunigungen sind ohnehin nicht angesagt, in Finnland herrscht wie in weiten Teilen Skandinaviens ein Tempolimit von 80 km/h auf den Überlandstraßen. Tempoüberschreitungen werden streng geahndet.
Zwischendurch spielte ein junges Rentier, das partout die Straße nicht verlassen wollte, „Pace-Car“ und bremste die Taycan-Fahrer zusätzlich ein.
Frostig
So angenehm der vorgewärmte Taycan 4S beim Losfahren und den ersten 100 km war, so frostig wurde danach das Klima. Das „innovative Klimaanlagenkonzept“, das nur elektronisch, aber nicht mechanisch zu regeln ist, da die Lüftungsschlitze keine Lamellen haben und nicht verstellbar sind, zeigte seine Tücken.
Egal, wohin der Luftzug via berührungssensitivem Bildschirm gestellt wurde: Aus den großen Lüftungsdüsen kam zwar ein warmer Lufthauch, daneben wurden Fahrer und Beifahrer jedoch kalt „umspült“, was vor allem neuralgische Stellen der Passagiere wie die Gelenke einfrieren ließ. Porsches Erklärung dafür war, dass die Klimaanlage auf „Individuell“ gestellt worden war, indem wir versuchten, den Luftstrom weg von den Augen auf die Füße und die Frontscheibe zu lenken.
Wohl bedingt durch die frostigen Temperaturen begann auch ein Plastikteil an der rechten Hecktüre zu klappern, das hat wohl mit unterschiedlichen Ausdehnungen der Materialien zu tun, konnte von Porsche jedoch nicht erklärt werden.
Kein Problem gab es mit der Reichweite. Nach 145 km Fahrt zeigte der Bordcomputer noch 134 km Restreichweite und einen mittleren Verbrauch von 25,7 kWh auf 100 km. Die vorausberechneten Daten entsprachen sehr genau der Wirklichkeit. Das Durchschnittstempo betrug 56 km/h.
Driften
Beim Porsche Wintertestzentrum angekommen, erwartete uns bereits Philipp Lietz, Porsche-Testfahrer und Sohn der berühmten Rennfahrer- und Autohändler-Familie aus Waidhofen an der Ybbs, um uns das richtige Handling des rund 2,2 Tonnen schweren Taycan 4S auf Schnee und Eis zu zeigen und es selbst ausprobieren zu lassen.
Erste Erkenntnis beim Driften: Der Umgang des Taycan 4S auf Eis in diesem Bereich will gelernt sein. Selbst geübte Drifter, die sich mit Hecktrieblern spielen, hatten anfangs ihre Probleme mit dem Verhalten des elektrischen Allradantriebes. Die Technik des Taycan 4S dagegen hatte keine Ausfälle.
Die Allrad- und Traktionsregelsysteme des Taycan 4S regeln fünfmal schneller als bei einem normalen Allradantrieb, sein enormes Drehmoment von bis zu 650 Nm (siehe Zusatzartikel) steht von Beginn an zur Verfügung, das erfordert ein deutliches Umdenken beim Lenken und „Gasgeben“ vom Lenker. Nach etlichen „Drehern“ und Ausrutschern wuchsen Fahrer und Fahrzeug immer besser zusammen. Von den vier Fahrmodi (Range/Reichweite, Normal, Sport, Sport+) machte „Sport+“ am meisten Spaß.
Nach mehreren Durchgängen zeigte sich Philipp Lietz mit seinen „Schülern“ aus Österreich schon ganz zufrieden. Auch wenn er zwischendurch bei einer Station, wo bei einigen der Übermut zu groß wurde, dreimal den Taycan 4S aus der Schneewechte freilegen und dann mit einem Cayenne wieder auf die Fahrbahn ziehen musste. Eine frostige Aufgabe bei diesen Temperaturen.
Wie sich der Taycan 4S in der „Profiliga“ auf Schnee und Eis bewegen lässt, zeigte ein finnischer Porsche-Testfahrer. Er führte nicht nur die Launch-Control perfekt vor, die der Taycan 4S serienmäßig an Bord hat, sondern auch den richtigen Umgang mit dem Übersteuern und Untersteuern des E-Sportwagens. Übrigens: Ein Mittel gegen den fehlenden Motorsound verriet er auch: Er setzt sich Kopfhörer auf und lässt sich den passenden Ton einspielen. Das von Porsche eigens für den Taycan konzipierte Motorgeräusch belebt offenbar nur wenig die Sinne.
Der Taycan 4S soll trotz der Produktionsverzögerung Anfang 2020 in Österreich starten. Die Verzögerung gehe auf Probleme bei der Umstellung der Produktion auf E-Antrieb zurück, so ein Porsche-Manager. Der heimische Porsche-Sprecher hofft, dass Österreich 2020 rund 300 bis 400 Taycan zugeteilt bekommt.
Einsteigerversion Nach dem Turbo und Turbo S ist ab Jänner 2020 der Taycan auch als 4S zu haben. Die Wärmepumpe ist bei uns Serie.
Antrieb Nennleistung 435 bzw. 490 PS mit 79,2 kWh bzw. mit 93,4 kWh Batterie, Mit Overboost 530 bzw. 571 PS. Drehmoment: 640 bzw. 650 Nm. Eingang-Getriebe vorne, Zweigang-Getriebe an Hinterachse. Fahrwerk: Vorderachse ist ident mit Versionen Turbo und Turbo S. Hinterachse mit kleinerem E-Motor als bei Turbo und Turbo S, adaptive Luftfederung mit Porsche Active Suspension Management, Grauguss-Bremsscheiben.
Fahrleistungen (für beide gleich) 0–100 in 4 sec, Spitze 250 km/h.
Verbrauch 24,6 bzw. 25,6 kWh/100 km (EU-Normzyklus WLTP).
Reichweite 407 km bzw. 463 km (WLTP). Lademöglichkeiten wie bei Taycan Turbo und Turbo S.
Preis ab 109.234 € (79,2 kWh), ab 115.956 € (93,4 kWh).
Österreichstart Vienna Autoshow vom 16. bis 19. Jänner 2020.