Moto Guzzi V100 Mandello: Fährt mit dem Wind
Von Peter Schönlaub
Wasserkraft? Windstärke? Keine Sorge, hier ist von keinem Elektromotor die Rede, sondern davon, dass sich Moto Guzzi mit den Elementen verbindet, um besser gerüstet in die Zukunft zu fahren. Wasser – oder besser gesagt: Kühlflüssigkeit – wird zum ersten Mal bei einem Serienmodell dieser Marke eingesetzt, und der Wind spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle: Moto Guzzi hatte ja als erster Motorradhersteller der Geschichte einen eigenen Windkanal zur Verfügung.
Darauf nimmt man Bezug, wenn man nun mit der „adaptiven Aerodynamik“ eine Weltneuheit im Zweiradbereich vorstellt: zwei Deflektoren am Tank spreizen sich abhängig von Geschwindigkeit und gewähltem Fahrmodus auf, um dem Fahrer mehr Windschutz zu bieten. Diese beiden Beispiele zeigen bereits, wie intensiv und akribisch Moto Guzzi an dem neuen Modell gearbeitet hat.
Mit Recht, denn die V100 Mandello ist nicht bloß ein weiteres Motorrad, sondern auch ein Symbol der Erneuerung und ein Bekenntnis für den Fortbestand der Marke.
Hightech-Systeme
Große Begriffe, viel Pathos, aber durchaus angebracht, blickt man auf die wechselvolle Geschichte, die vor 102 Jahren an den Ufern des Comer Sees begonnen hat. Mittlerweile unter dem Dach des großen Piaggio-Konzerns, soll dem Adler wieder das Fliegen beigebracht werden, sinnbildlich unterstützt durch ein modernes, technisches Fluggerät: Neben zeitgemäßer Antriebstechnik mit Ride-by-wire, moderner Abgasreinigung, Fahrmodi und Getriebe samt Quickshifter besitzt die V100 Mandello in ihrer
S-Version auch ein elektronisches Fahrwerk von Öhlins.
Elektronik ermöglicht auch ein volles Arsenal an Assistenzsystemen: Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Reifendruck-Kontrolle, clevere Connectivity. Dazu kommt jede Menge Komfort: ein Tempomat, eine Griffheizung, erstmals bei einem Sporttourer ein elektrisch verstellbarer Windschild.
Solchermaßen gerüstet lässt sich die neue Moto Guzzi als erste ihrer Art seit Langem mit den Besten am Markt vergleichen. Doch schlägt bei so viel Hirn das Herz noch im richtigen Rhythmus? Eine erste Ausfahrt soll Aufschluss geben.
Kerniger Charakter
Sporttourer sind in den letzten Jahren ein wenig in den Hintergrund gerückt, verdrängt durch Crossoverbikes, die von Reiseenduros inspiriert sind. Dennoch kann die V100 schon beim Erstkontakt für die Vorzüge ihrer Klasse sprechen: Man wird hier gut untergebracht, mit einer Körperhaltung, die bei voller Langstreckentauglichkeit auch sehr sportlich genommene Etappen möglich macht.
Diese fahraktive Grundhaltung wird vom Antrieb unterstützt. Die typischen Guzzi-Merkmale – das Schütteln am Stand, die guten Vibrationen bei der Fahrt – bleiben zwar erhalten, treten hier aber weitaus feiner, kultivierter auf als bisher. Dazu hebt der Motor die Fahrdynamik auf ein neues Level: Noch keine Serien-Guzzi war jemals so engagiert, so entschlossen. Untermalt von einer herrlichen Klangkulisse strebt man durch die Drehzahlen und wechselt die Gänge nahezu ruckfrei mittels des neuen Quickshifters.
Die saubere, leistungsstarke Bremsanlage und das ebenso gut abgestimmte Fahrwerk sorgen für rasches Vertrauen, auch bei ordentlichen Schräglagen. Beim Einlenken profitiert man einmal mehr von den Kreiselkräften einer längs liegenden Kurbelwelle, während die hochwertigen Federn und Dämpfer der V100 dafür sorgen, dass man auch in schnellen Kurven stabil bleibt.
Unterm Strich: Unter Beibehaltung traditioneller Eigenschaften – 90-Grad-V2, Kardanantrieb – ist es den Italienern gelungen, Moto Guzzi auf die Höhe der Zeit zu heben. Das Fahren mit der V100 Mandello ist nicht nur angenehm, sondern auch unterhaltsam; und mit der weiten Spreizung ihrer Fähigkeiten ist auch der Einsatzbereich vielfältig.
Das Zubehörprogramm ermöglicht weitere, individuelle Ausprägungen. Wer sich dennoch vor einem Sporttourer scheut: Ein Zipfel wurde bereits von jenem Tuch gelüftet, das derzeit noch über die Zukunft gebreitet ist. Darunter zum Vorschein kam der Modellname „Stelvio“: Eine große Reiseenduro mit dem neuen Motor sollten wir demnach als nächsten Schritt erwarten dürfen.
Das gefällt
Die Mischung aus Klassik und Moderne, die vielen Freiheiten beim Konfigurieren der Fahrmodi, der elektrische Windschild, die Ergonomie
Das gefällt nicht
Dass die hübschen, goldenen Felgen dem Basismodell vorbehalten sind
Details
Der flüssig gekühlte V2 mit 1043 ccm leistet 115 PS und ein maximales Drehmoment von 105 Nm; der WMTC-Verbrauch liegt bei 4,7 l/100 km, das Gewicht fahrfertig bei 233 kg; das Basismodell kostet 16.999 Euro, die S-Version (u.a. mit elektronischem Fahrwerk, Griffheizung, Quickshifter) 19.999 Euro