Wasserstoff auf der Langstrecke – geht das schon?
Von Horst Bauer
Die erste Ausfahrt war noch mit Polizeibegleitung.
Irgendwann in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in Phoenix, Arizona. General Motors wollte einer handverlesenen Schar europäischer Journalisten zeigen, wie weit man mit der Zukunftstechnologie Brennstoffzellen-Antrieb schon war. Also sollte es kein abgeschirmtes Testgelände, sondern eine Ausfahrt auf öffentlichen Straßen sein. Am – sehr frühen – Morgen und argwöhnisch bewacht von den lokalen Sheriffs, durfte man selbst am Steuer eine kleine Runde durch ein Wohnviertel von Phoenix drehen.
Erkenntnis der Übung: Der Prototyp ließ sich fahren wie ein Elektroauto mit Batterien. Aber die Entwickler selbst trauten der Sache wegen der Sicherheits-Herausforderungen, die ein Tank mit unter hohem Druck stehendem Wasserstoff an Bord eines Alltagsautos mit sich bringt, noch nicht so recht über den Weg. Und die Sheriffs schon gar nicht.
Heute, rund 25 Jahre später, rolle ich mit einem Mirai, dem bereits in Serienproduktion hergestellten Brennstoffzellenauto von Toyota, über die Südautobahn und die Herausforderungen haben sich verschoben.
Nicht mehr Technik und Sicherheit eines direkt an Bord aus Wasserstoff via Brennstoffzellen den nötigen Strom produzierenden Elektroautos sind das Problem. Jetzt geht es konkret um die Frage, lassen sich die Vorteile gegenüber batteriebetriebenen E-Autos (größere Reichweite und kürzere Tankzeit) in der heimischen Praxis überhaupt lukrieren?
Antwort nach rund 700 km am Steuer des Toyota Mirai zwischen Wien und Kärnten: Ja, aber nur, wenn die Strecke mit Bedacht gewählt wird.
Und auch da nicht immer.
Mit derzeit fünf öffentlich zugänglichen Wasserstoff-Tankstellen im Land (zwei im Großraum Wien, je eine in Graz, Linz und Innsbruck), hält alleine die Infrastruktur den Freiheitsdrang in engen Bahnen. Aber die Südroute müsste sich mit einem Tankstopp in Graz doch bis zum Faaker See ausgehen, zumal Toyota für den Mirai eine Normreichweite von 500 km angibt. So zumindest die Übungsannahme.
Erste Zweifel
Erste leise Zweifel tauchen bereits beim Blick auf die Reichweitenangabe des Bordcomputers im Test-Mirai auf. Dort stehen 350 km, trotz fast vollem Tank. Was für den Flaschenhals der Route – die rund 360 km von Graz an den Faaker See und zurück – Probleme verspricht.
Da sich durch umsichtige Wahl der Reisegeschwindigkeit (maximal Tempo 110 auf der A2) auf den 200 km von Wien nach Graz die Restreichweite doch ausbauen lässt (nach 200 km steht in Graz die Reichweitenanzeige bei 196 km), keimt wieder Hoffnung.
Die jedoch jäh in sich zusammenfällt, als die schmucke Wasserstoff-Zapfsäule bei der OMV in der Ostbahnstraße den Dienst verweigert. Trotz angezogener Feststellbremse, geschlossener Fenster und ordnungsgemäß eingerasteter Zapfpistole beim Mirai (laut Bordbuch Voraussetzung für die Betankung), will das digitale Zählwerk nicht anspringen. Die entwaffnende Aussage der lokalen OMV-Tankwartin, dass heute zwar schon zwei Autos getankt hätten, die Anlage jetzt aber wohl kaputt sei, lässt unschöne Visionen aufsteigen (Abschleppwagen oder Schleichfahrt zurück bis zur nächsten Tankstelle vor den Toren Wiens).
Nach eindringlicher Schilderung der besonderen Umstände und einem OMV-internen Telefonat schafft man es dann doch, die Anlage in Schwung zu bringen. Letztlich wandern (unter beunruhigend lautem Getöse der Pumpen) in wenigen Minuten laut Anzeige 1,55 kg Wasserstoff in den Tank. Und auf der Rechnung stehen 13,95 €.
Die Reichweitenprognose des Mirai zeigt jetzt 400 km, was Hoffnung für die bevorstehenden 360 km zum Faaker See und zurück gibt. Aber weiterhin ist Eco-Modus und strikt abgesenktes Autobahntempo angesagt.
Dies gilt natürlich auch für die Rückfahrt vom Etappenziel nach Graz, das ob des sanften Gasfußes schließlich mit einer Restreichweite von knapp 100 km erreicht wird. Die dynamischen Fähigkeiten des 154 PS starken Mirai auszuloten, steht somit erst für den zweiten Teil der Rückfahrt auf dem Programm – sofern die Wasserstoff-Zapfstelle funktioniert.
Einfache Betankung
Doch diesmal läuft alles wie am Schnürchen und man bekommt ein Gefühl dafür, wie einfach die Betankung eines Wasserstoffautos ist. Nach dem Einrasten des Zapfhahns den grünen Knopf an der Zapfsäule drücken und warten, bis der zu blinken aufhört. Dann ist der Tank voll und der Zapfhahn kann abgenommen werden.
Kein Durcheinander mit verschiedenen Steckern und Ladestationen oder undurchsichtigen Verrechnungsmethoden wie bei der Batterie-Elektroauto-Fraktion. Ein einziges System weltweit, wie gewohnt an herkömmlichen Tankstellen und der Preis steht transparent an der Zapfsäule.
Da für die nun anstehenden rund 200 km sogar 417 km Reichweite angegeben werden, kann der Mirai endlich richtig in Fahrt kommen. Erster Höhepunkt ist gleich die IGL-Zone auf der A2 nach Graz, die der abgasfreie Toyota dank grüner Nummerntafel mit Tempo 130 durchströmen darf, statt das 100-km/h-Limit einhalten zu müssen.
Auf dem kurvigen Wechselabschnitt zeigt sich, dass das Fahrwerk des Wasserstoff-Toyota mit der Kraft souverän zurechtkommt und im Sport-Modus tollen Durchzug bietet. Bei entsprechend dichterem Tankstellennetz wäre er also auch für dynamische Fahrer eine vollwertige Alternative zu einem Verbrenner.
So zeigt der Mirai als Vertreter seiner Spezies, dass moderne Autos mit Brennstoffzellen-Antrieb dynamische Elektroautos sind, für die man kein Ladekabel braucht, die man nicht stundenlang betanken muss und die auch Langstreckenfahrten wie bisher gewohnt ermöglichen.
Fehlen nur noch die Tankstellen, die es schwer haben, solange das ganze Fördergeld für den Ausbau der Infrastruktur vor allem in neue Steckdosen investiert wird.
Der Toyota Mirai in der getesteten Form hat bei uns 79.300 € (brutto) bzw. 66.083 € (netto) gekostet. Er ist derzeit in der getesteten Version nicht mehr zu kaufen, da im kommenden Frühjahr der neue Mirai startet, der im Vorjahr auf der Tokio-Motorshow vorgestellt wurde.
Der Brennstoffzellen-Stack leistet 155 PS /114 kW, die Nickel-Metall-Hydrid-Batterie hat eine Kapazität von 1,6 kWh und der permanent erregte Synchronmotor ein Drehmoment von 335 Nm.
Das 4,9 m lange Frontantriebsauto wiegt 1.850 kg und beschleunigt in 9,6 Sekunden von 0 auf Tempo 100 (Spitze 178 km/h).
Der Normverbrauch (NEFZ) liegt bei 0,76 kg Wasserstoff für 100 km.Der Testschnitt lag zwischen 0,8 und 1,1 kg.