Analyse Formel E: Zum Wohle des Voltes
Von Ad Raufer
Die Zukunft fährt elektrisch – mag sein. Bis jetzt ist diese hauptsächlich von Herstellern und der Politik angesprochene Folgezeit aber noch nicht wirklich angekommen.
Weil es nämlich aktuell schlicht und einfach an nahezu allem fehlt, was die Akzeptanz der E-Mobilität signifikant erhöhen würde: Hohe Preise, im Vergleich zu Verbrennern geringe Reichweiten sowie ein löchrig-dünnes Netz an Ladestationen lassen die Neuzulassungen der zumindest lokal umweltfreundlich fahrenden Elektroautos zwar – auf nach wie vor niedrigem Niveau – nach oben gehen, aber nicht wirklich durch die Decke schießen.
Dazu kommt die Zerstörung der Umwelt bei der Lithium-Gewinnung in der südamerikanischen Atacama-Wüste, die tiefe Wunden in die Landschaft schlägt und die dortige indigene Bevölkerung arm und ohne Grundwasser, aber mit verseuchten Böden zurücklässt sowie die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen bei der Kobalt-Förderung im Kongo, die sich zu allem Übel auch noch überwiegend in chinesischer Hand befindet – und deswegen gefährliche Abhängigkeiten schafft.
Trotzdem sei fairerweise festgehalten: Das E-Auto stößt bei ganzheitlicher Betrachtung weniger aus als Benziner oder Diesel – und scheint daher langfristig fürs Klima alternativlos.
Genau diesen Ansatz verfolgt die Formel E: Grünen Motorsport zu offerieren und den Beweis zu liefern, dass Racing sauber sein kann. Zu diesem Ansatz gehört auch, dass die Serienbetreiber bewusst neues Publikum ansprechen – was auch zu funktionieren scheint, wie der Erfolg der 2014 etablierten Rennserie belegt. Besteht doch das Ziel darin, junge Leute, die verrückt nach Smartphones, Tablets und Videospielen sind, abzuholen und sie für den Motorsport via Twitter, Instagram und Facebook zu begeistern.
Dass sich alte Petrol-Heads Rennen ohne laute Verbrenner, die die Quintessenz des Motorsports darstellen, nicht vorstellen können und das Arbeitsgeräusch der Batterieautos, das nach einer Mischung aus Zahnarztbohrer und Waschmaschinen im Schleudergang klingt, ablehnen, stört die Serienbetreiber nicht im geringsten.
Auch nicht die großen Werke: Audi, BMW (ab heuer offiziell sogar als Werksteam am Start) Jaguar, DS (Citroën), Mahindra, Nissan, Nio und Venturi sind schon da, ab heurigem Herbst kommen auch Mercedes und Porsche dazu. Sie alle fahren aber in der Formel E nicht, weil’s so lustig und für die Serienentwicklung essenziell ist, sondern sehen E-Motorsport als vergleichsweise billiges Marketinginstrument – was ja nicht illegitim ist. Audi zum Beispiel hat die 24 Stunden von Le Mans sausen gelassen, weil Porsche (2015) in direkter Konkurrenz und ebenfalls mit einem Hybrid-LMP1-Auto eingestiegen ist und Konzernmutter VW nicht zwei Konzernmarken gegeneinander fahren lassen wollte. Was nichts anders bedeutet hätte, dass man 150 Millionen Euro für den Gesamtsieg beim bedeutendsten Langstreckenrennen der Welt verballert hätte – aber weitere 150 Millionen für eine Niederlage.
Dagegen ist die Formel E , bei der zentrale Komponenten wie Chassis und Batterie Einheitsbauteile sind und deswegen die technische Entwicklung per Reglement verboten ist – soviel zum Nutzen für die Entwicklung von Serienfahrzeugen für die Straße – geradezu eine Mezzie. In Wahrheit wechselte Audi hauptsächlich deshalb das Terrain, weil die Formel E im Vergleich zu Le Mans zwar auch nicht geschenkt, aber mit (von Insidern geschätzten) rund 15 bis 20 Millionen Euro um Welten billiger ist.
Trotz allem: Die Formel E boomt – und liefert spannenden Rennsport, das muss man schon sagen: So ist es zum Beispiel durchaus üblich, dass im Qualifying zehn, zwölf Autos innerhalb einer einzigen Sekunde liegen. Noch besser, zumindest aus der Sicht der Zuschauer: In den bisher sieben absolvierten Rennen standen sieben verschiedene Sieger von sieben verschiedenen Teams ganz oben auf dem Siegerstockerl – ein Faktum, von dem die unglaublich einseitig, daher fad verlaufende Formel-1-WM – mit drei Mercedes-Doppelsiegen in den ersten drei Rennen – nur träumen kann. Wieder einmal.
Auch Audi – als Titelverteidiger in der Hersteller-WM – ist dabei, wenn auch nicht wie gewohnt ganz vorn: Dem 2017er-Meister Lucas di Grassi (ein Sieg beim E-Prix in Mexiko) fehlen zur Saisonmitte als Fünfter nur 7 Punkte auf den Führenden, in der Teamwertung (aktuell Rang 3) 14 Zähler. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass maximal 28 Punkte pro Rennen zu vergeben sind.
Viel zu den spannenden Rennverläufen beigetragen haben die neuen Autos, deren Batteriekapazität von 28 auf nunmehr 52 kWh erhöht worden ist. Analog dazu entfällt auch der früher als eher peinlich eingestufte Fahrzeugwechsel, weil die Energiespender keine volle Renndistanz schafften: Kein Renomme für E-Autos, die sowieso mit dem Problem geringer Reichweiten zu leben haben. Positiv auf die Performance – und damit auf den nun deutlich höheren Top-Speed – wirkt sich außerdem aus, dass die Leistung im Rennen nunmehr 200 kW (272 PS) statt 180 kW (244 PS) beträgt. Noch deutlicher stieg die Power im Qualifying, wo jetzt 250 kW (340 PS) statt nur 200 kW (272 PS) zur Verfügung stehen.
Kein Fehler wäre es jedoch gewesen, das Aussehen der Autos näher an die Optik bekannter Formel-Autos anzugleichen: Verkleidete Vorderräder, kleine Stummel-Winglets am Heck und schmale 18-Zoll-Profilreifen tragen wenig zu einem ernsthaften Auftritt bei.
Wie auch immer: Die Formel E hat sich vom ambitionierten Start-up zu einer professionell geführten Rennserie entwickelt, gleichzeitig aber auch viel von der ehemals unbeschwert wirkenden Hallo-wir-sind-alle-gut-drauf-und-machen-Party-Attitüde eingebüßt. Klar ist aber auch, dass das Niveau mit dem Einstieg von Porsche und Mercedes nochmals steigen wird. Das birgt aber auf der anderen Seite auch eine enorme Gefahr: Nämlich, dass die Einsatz- und Entwicklungskosten aus dem Ruder laufen. Hat doch die Vergangenheit – egal ob im Formel- oder GT-Sport – gezeigt: Je mehr Werke involviert sind, desto größer ist auch die Gefahr, dass die ganze Pracht und Herrlichkeit nicht mehr zu finanzieren ist.
Highlights Formel E Rom 2019