Zu stark forcierte Akademisierung eine Falle?
Ein akademischer Abschluss führt nicht mehr zwangsläufig zu einer besseren ökonomischen Situation.
über das Dogma forcierter Akademisierung
Das Dogma forcierter Akademisierung entstand aus der schlichten Erkenntnis, dass höhere Bildung ökonomischen Nutzen bringt. Sie lohnt sich nicht nur für das Individuum, sondern auch für Volkswirtschaften.
Nun regt sich vermehrt Widerspruch, unter anderem aus den Erfahrungen der jüngsten Wirtschaftskrise: Gerade Länder mit notorisch niedriger Akademikerquote haben diese Krise insgesamt besser überstanden und weisen zum Beispiel niedrige Arbeitslosenzahlen bei Jugendlichen auf, während auch ansonsten wirtschaftlich starke Länder, wie etwa Schweden oder Finnland, hier trotz hoher Akademikeranteile wesentlich schlechter abschneiden.
Manifester Mangel
Gegen die Annahme eines (zu) simplen Kausalzusammenhangs zwischen akademischer Bildung und wirtschaftlicher Stärke spricht auch ein tieferer Blick in einzelne Volkswirtschaften. Nicht alle Branchen und Unternehmen bedürfen, auch wenn Komplexität und wissensbasierte Wertschöpfung zunehmen, einer ständig wachsenden Akademisierung. Der von ihr mitverursachte Mangel an Facharbeitern hingegen ist bereits manifest und verweist auf die in diesem Zusammenhang immer wieder geäußerte Sorge, dass sie eine besondere Stärke unseres Bildungssystems, nämlich die duale und andere bei uns erfolgreiche Berufsausbildungen beeinträchtige.
Dualismus
Der tiefste Grund für die Hochschätzung akademischer Ausbildung liegt im abendländischen Dualismus, der alles Geistige auf- und alles Körperliche abwertet, erstmals grundsätzlich von Platon formuliert und dann insbesondere vom Christentum fortgeführt.
"Sackgasse"
Eine Folge davon in der aktuellen Bildungsdebatte ist zum Beispiel die Ansicht, dass man alle, die nicht nach der Volksschule eine AHS besuchen, in einer "Sackgasse" stecken geblieben sieht.
Heute decken sich allerdings die Grenzen zwischen Hand- und Kopfarbeit schon lange nicht mehr mit denen zwischen akademischen und anderen Berufen, und ein akademischer Abschluss führt nicht mehr zwangsläufig zu einer besseren ökonomischen oder sozialen Situation.
Soziale Stärke
Die hier geäußerte Skepsis gegen eine zu stark forcierte Akademisierung soll allerdings weder die Bedeutung eines akademischen Studiums generell noch gar den Wert höherer Bildung insgesamt infrage stellen. Bildung jeglicher Art bleibt ein wichtiges Mittel sozialer und ökonomischer Stärke, und gerade einerseits hoch entwickelte, andererseits rohstoffarme Länder wie Österreich müssen schon aus wirtschaftlichen Gründen auf sie setzen.
Bildung ist aber nicht nur ökonomisch bedeutsam. Wichtiger ist ihr Beitrag zur Formung des Individuums, wichtiger ist auch der zu einer gelingenden Gesellschaft. Bildung ist auch nicht auf Hochschulen beschränkt, sie beginnt mit dem ersten Lebenstag und begleitet den Menschen ein Leben lang.Dieser Gastkommentar ist eine stark gekürzte Fassung eines Beitrags im "Österreichischen Jahrbuch für Politik 2013".
O. Univ. Prof. Dr. Karlheinz Töchterle ist Abgeordneter zum Nationalrat und Wissenschafts- und Forschungssprecher der ÖVP, ehem. Bundesminister für Wissenschaft und Forschung.