Meinung

Wie wäre es diesmal mit Politik statt Show?

LeidenschaftVerantwortungsgefühl – Augenmaß. Kann sich die Politik an diesen Begriffen orientieren?

Dr. Helmut Brandstätter
über die Mußestunden von Christian Kern

Ein verlängertes Wochenende für die meisten von uns, nicht schlecht in aufgeregten Zeiten. Nur der künftige Bundeskanzler Christian Kern muss arbeiten, eine Menge Leute wollen Minister bleiben oder Minister werden, da ist viel zu besprechen. Schade eigentlich, Kern sollte die Mußestunden finden, um etwa Max Weber hervorzukramen, den Klassiker der Soziologie, der sich Gedanken gemacht hat über "Politik als Beruf", geschrieben im Jahr 1919. Das war auch eine Periode der Krise, nach verlorenem Krieg, mit bereits unübersehbaren Tendenzen zu autoritären Regimen und Politikern, die entweder reich genug waren, um Politik als Hobby zu begreifen, oder Revolutionären von links und rechts, die mit dem von Weber entwickelten Begriff einer Verantwortungsethik nichts anfangen konnten: Das Wissen darum, für die Folgen des Handelns verantwortlich zu sein.

Diese drei Qualitäten erwartet Weber vom Berufspolitiker: "LeidenschaftVerantwortungsgefühl – Augenmaß." Und: "Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat daher der Politiker täglich und stündlich in sich zu überwinden: Die ganz gemeine Eitelkeit."

Übertragen wir diese Gedanken und Grundsätze in unsere Tage der permanenten Aufgeregtheit und sekundenschnellen Information: Wie soll eine politische Führungsfigur die Folgen ihres Handelns abwägen können, wenn sie im Fernsehen nicht einmal genügend Zeit hat, einen Gedanken fertig zu formulieren, abgesehen davon, dass TV und Smartphones in erster Linie Bilder, also Emotionen transportieren? Daraus folgt somit, dass Politiker den Mut haben müssten, sich den Versuchungen der modernen Medienwelt zu verweigern.

Achtung: Es gibt eine Todfeindin

Selbst wenn es stimmen sollte, dass sich Christian Kern seit Monaten auf die Aufgabe eines Regierungschefs vorbereitet, kann er einfach nicht ad hoc Rezepte zum Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Verbesserung der Schulen und zur Integration der Flüchtlinge vorlegen. Was er aber kann, und das wäre verantwortungsbewusst, ist die Festlegung von Zielen und die Beauftragung von Zuständigen, die die Erreichung dieser Ziele erarbeiten müssen. Und sollte die Eitelkeit den Weg ins Fernsehstudio oder zum Fotoshooting weisen, dann hilft Weber: "Die Eitelkeit ist die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz." Todfeinde bekämpft man.

Und weil in ganz Europa die Tendenz zu autoritären Strukturen gerade jetzt wieder stärker wird, haben Politiker die Verantwortung, die Alternative zum angeblich "starken Mann" aufzuzeigen: Die Leidenschaft, im Rahmen von Demokratie und Rechtsstaat um gute Lösungen zu ringen. Das ist mühsam und braucht Zeit.

Es gibt eine heftige Wechselstimmung im Land, weg von verbaler Prügelei, Packelei und Proporz. Wechsel wohin? Zu einem neuen Führerkult – oder zur Politik ernsthafter Lösungen – verlangsamt, verlässlich und verantwortungsbewusst? Viel Zeit bleibt uns nicht.