Meinung

Schafft Kern die Wende Richtung Forza Austria?

Kern wird vom Start weg ein Reformfeuer wie sein Vorbild Renzi entfachen müssen

Josef Votzi
über die Chancen für einen rot-schwarzen Neustart

Den verkrusteten Gewerkschaften ließ er ausrichten, er habe für ein Gespräch höchstens eine Stunde Zeit. Den Industriekapitänen beschied er, zu ihren Kongressen werde er nicht erscheinen, er bevorzuge arbeitende Unternehmer. Er wirkt angstfrei und liebt das Spiel mit großen Einsätzen. Sein Selbstbewusstsein kratzt bisweilen an der Grenze zur Arroganz.

Matteo Renzi steht seit Dezember 2013 an der Spitze von Italien. Der 41-Jährige hat das politische Handwerk als Bürgermeister von Florenz gelernt. Als Regierungschef setzte er binnen zwei Jahren durch, woran seine Vorgänger nicht einmal laut zu denken wagten. Unter seiner Führung regiert im „Partito Democratico“, dem Sammelbecken des Mitte-links-Lagers, die Devise: „Wir drücken aufs Gaspedal und lassen uns nicht aufhalten“.

Matteo Renzi brach mit dem nahezu absoluten Kündigungsverbot und senkte die Steuern auf Arbeit. Seine Regierung besteht fast zur Hälfte aus Frauen. Der Sozialdemokrat nötigt nicht nur seinen in ganz Europa von Populisten und Nationalisten bedrängten Regierungskollegen Respekt ab. In seiner Heimat singen selbst Vertraute des Rechtspopulisten Silvio Berlusconi Hymnen auf den Erneuerer mit linken Wurzeln. Ihm begründete jüngst der in Italien populäre konservative Publizist, Giuliano Ferrara, auf einer Doppelseite, „warum ich mich in unseren Premier Matteo Renzi verguckt habe“.

Seine Begründung: „Er hat Feuer im Bauch und brennt vor größenwahnsinnigem Ehrgeiz.“

Österreichs Berlusconis lugen schon ums Eck

Bella Italia – Lieblingsnation vieler Österreicher – hat schon hinter sich, was hierzulande noch bevorsteht: Der endgültige Niedergang der Nachkriegsordnung – samt Erosion der staatstragenden Parteien. Nach dem Zusammenbruch von Christ- und Sozialdemokraten übernahmen in Rom für fast zwanzig Jahre die Rechtspopulisten die politische Macht im Land, mit dem Autokraten Silvio Berlusconi an der Spitze: Forza Italia (=vorwärts Italien).

Eine Devise, die unausgesprochen auch die ersten zwei Jahre der Regentschaft von Matteo Renzi prägt.

In Österreich übernimmt nun Christian Kern die Führung des Landes. Es ist zugleich die letzte Chance für Rot und Schwarz für einen tatsächlichen Neustart. Kern wird von Freunden große Sympathie mit der Politik Matteo Renzis nachgesagt. Schafft er die Wende zu Forza Austria?

Renzis Erfolg gründet darauf, dass er schon als Bürgermeister von Florenz eine Bewegung der Erneuerung entfachte. Drei Jahre vor der Machtübernahme in Rom trafen sich erstmals in der ehemaligen Florentiner Bahnstation Leopolda Tausende Menschen aus dem ganzen Land. Eingeladen von einem Mann, der keine Posten oder Privilegien zu verteilen, sondern nur die Arbeit an einem Projekt anzubieten hatte, einer gemeinsame Vision nach den Albtraumjahren der Berlusconi-Ära: „Wie können wir das Land ändern?“ Die Leopolda-Aktivisten von gestern sind heute tragende Säulen von Matteo Renzis Regierungsteams – als junge Minister, Kabinettsmitarbeiter oder Spitzenbeamte. Diese Vorlaufzeit hat Ex-ÖBB-Chef Kern nicht mehr. Er wird daher vom Start weg alles tun müssen, um ein Reformfeuer à la Renzi zu entfachen – und dem Land italienische Verhältnisse im Rückwärtsgang zu ersparen.

Österreich hatte bisher nur die Stronachs und die Lugners zu verdauen. Aber der nächste Möchtegern als starker Mann lugt schon bei der Hofburg um die Ecke.