Meinung

Rotznasen

Gutes Benehmen ist eine Frage der Kultur. Und relativ.

Mag. Simone Hoepke
über Rotznasen

Die Zeit zu übersehen, ist eine ärgerliche Sache. Vor allem, wenn es um die Online-Check-in-Zeit für einen Langstreckenflug geht.

Neulich hab ich wieder die Zeit übersehen. Bei der Sitzplatzwahl hab ich damit die Arschkarte gezogen. Den Mittelplatz. Das ist schon an sich kein Bemmerl. Erschwerend hinzu kam die Schnupfensaison.

Manieren sind ja relativ. Bei Ritteressen durfte man früher ungeniert in die Runde rülpsen, was heutzutage gar nicht gut ankommt. Zumindest in unseren Breiten. Es sei denn, man heißt Barney, ist der beste Freund von Homer Simpson und sitzt ständig betrunken in Moe’s Bar. Oder man ist irgendwo in Asien, da soll das auch noch durchgehen. Alle paar Meter auf den Gehsteig spucken ist ebenfalls okay, wobei der Sinn dieser Übung nirgends erklärt wird. Eines geht in vielen Teilen Asiens aber gar nicht: Schnäuzen. Schon gar nicht bei Tisch. Das ist grauslich und unhöflich. Wer ein bisschen Manieren hat, zieht den Rotz hoch. Auch stundenlang.

Ich durfte mich während des Langstreckenflugs zwischen zwei freundlich lächelnde Herren aus Asien quetschen. Beide mit einem Mordstrumm Schnupfen ausgestattet, ausgesprochen höflich und offenbar mit guter Kinderstube. Schnäuzen ging aus ihrer Sicht also gar nicht. Nicht am Boden, nicht über den Wolken, nicht vor dem Essen, nicht nach dem Essen.

Der Plan, meine rotzigen Mitreisenden mit bösen Blicken zu Salzsäulen erstarren zu lassen, ging trotz größter Anstrengung nicht auf. Das nasale Geräusch mit diversen Hörbüchern zu übertönen auch nicht. Irgendwo in der Nähe von Islamabad hab ich auch den Plan verworfen, kreischend aus der Maschine zu springen. Wurscht, in welchem Land ich aufschlagen würde.

Ich hab’ mich tot gestellt.

Hat super funktioniert. Die beiden Rotznasen sind drauf reingefallen. Haben sich plötzlich unbeobachtet gefühlt und ganz ungeniert geschnäuzt.

Am Rückflug hab ich rechtzeitig eingecheckt. In meiner Reihe saß noch eine verschnupfte Wienerin, der Platz zwischen uns blieb leer. Ich war entspannt. Bis die Dame den Klapptisch zwischen uns herunterklappte, um ihre angeschnäuzten Taschentücher dort zu deponieren.