Ohne faire Dialoge keine Demokratie
Statt sachlicher Argumente kommt der schnelle Untergriff
über den öffentlichen Diskurs
"Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und dann populär zu machen." Das hat der vor ein paar Tagen verstorbene Walter Scheel gesagt, der Freidemokrat, der als Außenminister mit Willy Brandt die deutsche Ostpolitik umsetzte.
Das ist über 40 Jahre her, auch damals war der öffentliche Diskurs oft emotional oder gar gehässig, nicht nur in Deutschland, auch bei uns, aber es gab politische Projekte, um deren Mehrheitsfähigkeit gerungen wurde. Nun kann man darüber streiten, ob die Politik keine gesellschaftspolitischen Vorschläge mehr entwirft, weil es einfach keine Ideen mehr gibt, oder ob in der medialen Welt ohnehin nichts und niemand überlebt, weil die tägliche Aufwallung von Boulevard bis Facebook keine ernsthafte Auseinandersetzung mehr zulässt.
Beispiel 1-Euro-Jobs für Flüchtlinge: Da gibt es immerhin bereits Erfahrungen in Deutschland, wo auch die SPD dem Thema nicht negativ gegenübersteht. Wir könnten also Erfahrungen prüfen, abwägen und dann eine Entscheidung treffen. Dazu kommt es aber nicht, weil die Idee vorher mit ein paar persönlichen Untergriffen kaputtgemacht wird. Das ist schon schlimm genug. Aber es geht ja grundsätzlich darum, wie die Integration von Zuwanderern funktionieren könnte, diese Diskussion ist noch viel komplizierter, weil viele Teile der Gesellschaft und auch Interessen berührt werden.
Richtiges populär machen – frommer Wunsch
Dasselbe spielt sich bei Zukunftsfragen wie Schule, Bildung, Universitäten, Forschung ab. Statt sachlicher Argumente kommt der schnelle Untergriff, und wenn dann unserem Land wie vor ein paar Tagen wieder Mittelmäßigkeit vorgeworden wird, dann ist natürlich der politische Gegner schuld, im Bund also der Regierungspartner. Auch langjährige Beobachter erinnern sich nicht, dass die ehemaligen Großparteien, vor allem aus der zweiten Reihe, so bösartig aufeinander losgegangen sind. Wenn das traurige Schauspiel im kommenden Jahr zu Neuwahlen führen wird, ist jetzt schon klar, was das schlimmste Ergebnis wäre, nämlich wenn SPÖ und ÖVP wieder gemeinsam eine Regierung bilden könnten.
Der Umgang mit den Medien wiederum zeigt, dass die beiden bisher dominierenden Parteien zu Veränderungen nicht in der Lage sind. Im ORF geht es auch nach der Wahl des Generaldirektors weiter nur um Posten. Kein Politiker hat eine Vorstellung, wofür das Unternehmen da ist – außer für die eigene Wichtigkeit. Deshalb kann auch niemand ernsthaft beantworten, ob eine Gebührenerhöhung gerechtfertigt ist. Die Krone ist dagegen, also fürchten sich halt nicht wenige. Angst als Maxime des Handelns – das hat leider Tradition und einen Boulevardbereich gezüchtet, der vom Kampagnisieren lebt. Da sind eben sachliche Diskurse schwierig, und Walter Scheels Aufruf, das Richtige populär zu machen, wirkt wie ein unerfüllbarer Wunsch aus fernen Zeiten.