Mit Präzision ins Verderben?
Ein Plädoyer. Was es tunlichst zu vermeiden gilt: Dinge effizient zu machen, die überhaupt nicht gemacht werden sollten. Das ist eines der berühmten Zitate des Austro-Amerikaners Peter Drucker, Vater des modernen Managements.
Seine Weisheit wird heute mehr gebraucht denn je, denn der Umgang mit Covid-19 offenbart eine tief greifende Krise des Leadership.
Was lässt sich bisher beobachten? Die westliche Welt, ebenso aber Schwellenländer, setzen in der Bewältigung der Pandemie auf zentralistische und technokratische Einheitslösungen, begründen diese mit Expertisen und implementieren sie mit Zwangsmaßnahmen, für die Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. Die Bevölkerung wird drangsaliert mit Angstparolen auf der Basis unvollständiger Daten und bei Zuwiderhandeln mit Strafe bedroht. Eine Maschinerie, aus der es kein Entrinnen gibt.
Selbst ein Rückzug aus dem Lockdown ist aufgrund des Vorsichtsprinzips extrem schwierig. Das Ergebnis: Die wirtschaftliche Wertschöpfung, der Blutkreislauf unserer Gesellschaft, kommt zum Erliegen – gerechtfertigt mit der Bekämpfung eines Virus, der, verglichen mit anderen Naturkatastrophen, nur einen verschwindend kleinen Anteil der Menschheit in Gefahr bringt.
Dampfwalze
Natürlich sind die Sorgen um die Saturierung der Intensivbetten und um die Gefährdung vor allem der älteren Generation real – doch lassen sich damit disproportionale Kollateralschäden rechtfertigen? Die Covid-Maschine läuft mit der Präzision eines Uhrwerks und mit der Kraft einer Dampfwalze über alles hinweg.
Weshalb riskieren wir die Lebenschancen von Milliarden von Menschen, indem wir ein Gesundheitsproblem über Medienhysterie und Manipulation zum einzigen Problem der Menschheit hochstilisieren?
In den letzten Jahrzehnten haben wir im Management gelernt, mit unüberschaubaren Situationen umzugehen. Hier zeigte sich rasch, dass Einheitslösungen nicht funktionieren und nur ein differenziertes und angepasstes Vorgehen zum Erfolg führt. Dieses speist sich wiederum aus permanenten Lernschleifen.
Es gilt, sich an der Realität voran zu tasten, wie es neue Management-Methoden – etwa Agile- oder Design Thinking – vorexerzieren. All das kann nur funktionieren, wenn man die Eigenverantwortung betont und eine positive Vision für die Zukunft entwickelt. Aus der Sicht des Management-Denkens gibt es nur eine sinnvolle Lösung: Lernen, mit diesem Virus zu leben.
Die menschliche Existenz ist gepflastert mit Risiken, die sich durch vernünftiges Handeln limitieren lassen. Gänzlich ausschalten lassen sie sich nie. Vielleicht ist noch Zeit, mit gesundem Menschenverstand und solidem Urteilsvermögen die Zukunft zu retten anstatt mit Präzision ins Verderben zu stürzen. Dies ist tatsächlich die entscheidende Leadership-Herausforderung des Jahrhunderts, der sich insbesondere Politik und Medien heute stellen müssen.
Richard Straub ist Gründer und Präsident des Global Peter Drucker Forums, das am 29. und 30. Oktober zum 12. Mal in Wien stattfindet.