Sich verlieben, das geht immer. Steht uns das Beste noch bevor?
Von Yvonne Widler
Vor Kurzem hatte ich Geburtstag, diese einzig einem Datum geschuldete Ehre bedeutet gleichzeitig auch immer mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert zu werden.
Was ist eigentlich gut am Älterwerden? Sofort musste ich an Heinrich denken.
Ihn lernte ich im Pensionistenheim kennen. Eine Reportage hatte mich dorthin verschlagen. Er saß im Aufenthaltsraum und grinste vor sich hin. Er erzählte, dass er es nicht für möglich gehalten hätte, aber er trage gerade exakt das gleiche Gefühl in sich wie damals mit 17. Er sei frisch verliebt. In mancher Hinsicht sei es sogar schöner.
Nun ja. Wer sich im Alter verliebt, durchleuchtet die andere Person nicht mehr so streng. Was denkt mein Umfeld über ihn? Wird er der sein, mit dem ich Familie gründe? Das wird alles nicht mehr wichtig sein. Heinrich sagte zum Abschied einen schönen Satz. Er sagte, er wisse nicht, ob diese Jahre nun die besten seines Lebens seien, aber mit Sicherheit die sorglosesten.
Etliche Studien zeigen, dass Menschen heutzutage vermehrt den Wunsch haben, sich in der zweiten Lebenshälfte wieder zu verpartnern. Ohne Zweifel ist es so, dass wir unser ganzes Leben lang sehr davon profitieren, wenn wir emotionale und intime Beziehungen führen.
Das sieht Hilde genauso. Die 73-Jährige lernte ich auf einer Autobahnraststätte kennen, wo sie üblicherweise ihre Dates traf. Neutraler Rahmen eben. Wenn Hilde von dem erzählte, was die jüngere Generation als Sexting bezeichnet, dann sprach sie von „in Herzlichkeit ausgeartetem Schreiben“ und erzählte von stundenlangem Chatten „beim Fleischknedl kochn“. Und stets dieselben Fragen beim Kennenlernen: Scheidung oder Witwer? Zähne noch echt? Wie viele Enkelkinder? Sie hätte da eine gute Routine mittlerweile, das Flirten mache ihr Spaß.
Es sieht so aus, als hätten Senioren nie bessere Chancen auf Liebesglück im Alter gehabt. Nie waren die Menschen so lange gesund. Nie konnten sie sich so frei von Konventionen auf unterschiedlichen Kanälen neu verlieben. Dass der Körper seinen gesundheitlichen Zenit überschritten hat, sei dabei das kleinste Übel, meinte Hilde kichernd. Ich würde mich wundern, was noch alles geht.
Der Geburtstag war gerettet.