Meinung

Von der Zuflucht in die Realität

Ist das genug für eine Kirche, die ins dritte Jahrtausend geht?

Andreas Schwarz
über die Papst-Nachfolge

Immer dann, wenn Kirchenväter keine Antwort auf konkrete Fragen haben oder geben wollen, suchen und bieten sie Zuflucht im Evangelium, in der reinen Glaubenslehre, im Spiritualismus. Nein, das ist per se nicht schlecht: Kirche, die katholische Kirche, versteht sich im Glauben, im Dienen, im daraus Kraft, Leben und Liebe Schöpfen.

Und es ist zugleich doppelt praktisch: Dort, wo es keine Antworten gibt – auf die Ungerechtigkeiten, die Unverständlichkeiten, die großen Dramen des Lebens – kann der Glaube Trost und Alternative, in der Diktion der Kirche: einzig wahrer Inhalt, sein. Und überall dort, wo sich Fragen der Veränderung aufdrängen, der Erneuerung des gesellschaftlichen Abbilds auch in der Kirche, der Öffnung, ist der Verweis auf die Spiritualität gerne geübte Zuflucht in die Mauern der Resistenz.

Papst Benedikt XVI. war ein selbst erklärter Übergangspapst und leidenschaftlicher Theologe, ein Pontifex der Tradition und der reinen Lehre. Einer, der sich weniger mit Politik, Kirchenpolitik und gesellschaftlichen Bewegungen beschäftigte. Vielmehr einer, der den Glauben aus seinem spirituellen Verständnis ins Zentrum rückte, aus tiefster Überzeugung.

Aber ist das genug für eine Kirche, die ins dritte Jahrtausend geht, respektive den Übergang dorthin zu verschlafen droht? Kann sich eine Kirche die moderate Schließung der Türen und Fenster, wie sie der Pastoraltheologe Zulehner im KURIER-Interview für die Zeit Benedikt XVI. konstatiert, leisten, wenn sie draußen gehört werden will?

Die Nachfolgefrage ist auch eine der Person, wäre aber vor allem eine der Sache: Die Kirche muss definieren, was die großen Themen sind – die der Welt und die, die die Kirche behandeln will/muss, um auch in Zukunft noch eine Institution zu sein. Erst dann wäre der Pontifex zu küren, der diesen Weg umsetzt.

Mehrheit und Wahrheit

Und der kann nicht ausschließlich auf dem ungeschriebenen, auch von Benedikt XVI. vertretenen „Dogma“ beruhen, dass Mehrheit und Wahrheit zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Im Gegenteil: Wenn die Kirche nicht erkennt, dass der tiefe Glaube auf der einen Seite und die Fragen der Gegenwart auf der anderen – von der Rolle der Frauen in der Kirche über soziale Fragen, Themen wie Sexualität und Verhütung bis zu dem mit Glaubensfragen völlig unverwandten Zölibat – vereinbar sind, ohne dass das ein Einknicken vor dem Zeitgeist ist, dass Öffnung nicht Nivellierung bedeutet, dann hat sie für die Zukunft verloren. Egal, ob der nächste Papst aus Europa, Afrika, Lateinamerika oder Asien kommt.

Dass sich Benedikt XVI. dieser Herausforderung nicht mehr stellen mochte, ist nachvollziehbar. Die Zusammensetzung der Kardinäle, die den nächsten Papst bestimmen und die maßgeblich von Benedikt XVI. gekürt worden sind, lässt zweifeln, dass die Kirche für diesen Schritt in die Zukunft bereit ist. Aber kleine Wunder sind dort ja nicht ausgeschlossen.