Meinung/Kommentare/Innenpolitik

So scheinheilig

Am lautesten schreien jene, die selbst am meisten Dreck am Stecken haben.

Mag. Laila Daneshmandi
zur Diskussion über sexuelle Übergriffe.

Muss das gut tun, sich an Lustmolchen abzureagieren, die für inakzeptables Verhalten am Pranger stehen. Ob in Hollywood oder hierzulande – es wird geteert und gefedert, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sieht. Und am lautesten schreien jene, die selbst am meisten Dreck am Stecken haben.

Wie so oft sind es Männer in Machtpositionen, die sich den einen oder anderen "Fehltritt geleistet", die "Kontrolle verloren" oder "Situationen falsch eingeschätzt" haben. Sie füllen jetzt die Klatschspalten, werden unter lautem Getöse gefeuert, sämtlicher Funktionen enthoben und fürchten um ihre Existenz. Wie immer sind die bösen Molche "die anderen".

Die Empörung ist so unendlich scheinheilig. Was ist mit dem Vorgesetzten, der seine Mitarbeiterin immer Schätzchen nennt? Dem Kollegen, der im Suff anruft und ins Telefon stöhnt? Den anzüglichen Herrenwitzen, die bei Meetings gerne Schenkelklopfer bieten?

Wir sind noch immer weit entfernt von Gerechtigkeit. Wenn es die gäbe, würden Frauen in Österreich nicht noch immer 21,5 Prozent weniger verdienen als Männer (der OECD-Schnitt liegt übrigens bei 16 Prozent). Sie wären genauso oft in Führungspositionen wie Männer. Würden Frauen und Männer auf Augenhöhe arbeiten, könnten sie Fehlverhalten auch auf Augenhöhe melden. Und dann gäbe es für solche "Fehltritte" im Alltagsleben vieler Frauen nicht nur zahnlose Abmahnungen, sondern Konsequenzen. Dafür muss niemand geteert und gefedert werden – viel sinnvoller wäre eine verpflichtende Auseinandersetzung mit dem Verhalten.

Doch solange es keine Ausgangssituation auf Augenhöhe gibt, bietet die Ungleichheit den Nährboden für die Ausnutzung von Machtpositionen. Und es wird lieber auf Lustmolche in den Klatschspalten gezeigt, statt vor der eigenen Tür zu kehren.

laila.daneshmandi@kurier.at