Mister 100 Prozent muss nun liefern
Von Evelyn Peternel
Wird Martin Schulz nicht bald konkreter, wird das beste Ergebnis der Geschichte zum erdrückendsten.
über den neuen SPD-Chef
100 Prozent, so viel wie keiner vor ihm, nicht mal Willy Brandt: Was Martin Schulz am Sonntag bei der Wahl zum Parteichef erreicht hat, ist in jedem Fall historisch.
Ob historisch gut oder historisch tragisch, muss sich allerdings erst zeigen. Denn für Schulz’ Erfolg gibt es – zumindest – zwei Lesarten: Entweder er ist tatsächlich der Heilsbringer, auf den die Partei seit Gerhard Schröder, wenn nicht sogar seit Helmut Schmidt gewartet hat – oder die SPD ist derart verzweifelt, dass sie ihre letzte Hoffnung mit 100 Prozent Rückenwind ausstattet.
Bislang hat der im Voraus schon als "Gottkanzler" apostrophierte Schulz es vornehmlich vermocht, die eigene, seit Jahren an sich selbst verzweifelnde Partei für sich zu begeistern – und das so gut, dass die in ihrem Schulz-Rausch zumindest in Umfragen brillieren konnte. Aber mit Umfragen gewinnt man keine Wahl – das weiß gerade die SPD besser als jede andere Partei. Dazu kommt, dass Schulz bisher hauptsächlich Wähler vom linken Spektrum abzieht, also Stimmen seiner potenziellen Koalitionspartner in eigene umwandelt, und das könnte sich rechnerisch zum Problem auswachsen. Um regieren zu können, muss Schulz jene Wähler erreichen, die Merkels CDU der SPD abspenstig gemacht hat; und für die braucht es mehr als Gefühlspolitik.
Schulz muss Handfesteres liefern als das bisschen Kratzen am Erbe Schröders und den paar Versprechen auf mehr Gerechtigkeit. Schafft er das nicht, könnte sich das beste Ergebnis der Geschichte zum erdrückendsten wandeln: Liegt die CDU wieder vor der SPD, ist Rot-Rot-Grün wieder nicht drin, wird Schulz wohl der tragischste 100-Prozent-Kandidat der Geschichte – und die SPD mit dem Hype um den "Gottkanzler" um ein Trauma reicher.