Mit der Seele baumeln wird nicht reichen
Österreich ist nicht „abgesandelt“, aber braucht dringend Reformen, um den Wohlstand zu sichern
über den Wahlkampf
Der Bürgermeister Leopold Gratz (1929–2006) kannte seine Wiener. Seine These: Die SPÖ muss im Herbst wählen lassen. Nach einem Urlaub im Ausland sehen die Wiener wieder, wie schön es in ihrer Stadt ist. Im Oktober 1973 erreichte Gratz über 60 Prozent der Stimmen, das beste Ergebnis der SPÖ.
Die ÖVP versucht es gerade mit der Gegenthese. Sie plakatiert zwar schöne Landschaften, die an einen früheren Slogan der Österreich Werbung erinnern: „In der Wiese liegen und mit der Seele baumeln.“ Aber gleichzeitig wird unser Land gerade von Vertretern der Wirtschaft als „abgesandelt“ oder gar „abgestürzt“ bezeichnet. Was will uns die ÖVP da sagen? Dass Michael Spindelegger Bundeskanzler werden muss, damit die SPÖ das Finanzministerium bekommt und Frau Fekter abgelöst werden kann?
Die ÖVP tut sich als zweite Regierungspartei traditionell schwer. Aber das kann keine Ausrede für einen so verwirrenden Wahlkampf sein. Man muss doch nicht unsere Wirtschaft schlechtreden, um auf den dramatischen Bedarf an Reformen hinzuweisen. Der Wirtschaftsforscher Karl Aiginger hat es im KURIER vom Freitag so klar formuliert, dass es sich als gemeinsames Plakat für die beiden Regierungsparteien eignen würde: „Österreich ist Spitze, aber Durchwursteln geht nicht mehr.“
Aber anstatt über reale Reformen zu diskutieren, führen die Parteien virtuelle Diskussionen über einen regelmäßigen 12-Stunden-Tag, den niemand will oder über Firmen, die angeblich abwandern wollen.
Reformen statt reden
Hier ein paar einfache Fakten, für die vor allem SPÖ und ÖVP verantwortlich sind, und zwar überwiegend gemeinsam:
– Wir haben in Österreich zu viele Menschen, die uns verwalten und zu wenige Unternehmer.
– Wir haben ein Bildungssystem, das seit Jahrzehnten immer schlechter wird.
– Wir haben ein ungerechtes, zum Teil demotivierendes Steuersystem.
– Wir investieren zu wenig Geld in Forschung.
– Wir sind nicht ausreichend auf den verschärften globalen Wettbewerb vorbereitet.
Das sind alles Binsenwahrheiten, der überwiegende Teil der österreichischen Politik wird sogar allen Punkten zustimmen. Und gleichzeitig würden alle Politiker in Bund und Ländern schnell Ausreden finden, warum gerade in ihrem Bereich Reformen leider, leider nicht möglich sind.
In diesem Sinn ist der SPÖ-Wahlkampf der ruhigen Hand ebenso wenig produktiv wie das Durcheinander der ÖVP. Schimpfen funktioniert aber sicher nicht. In den 1970er-Jahren plakatierte die Wiener ÖVP: „Diese Stadt ist krank.“ In dieser Zeit feierte die SPÖ ihre größten Erfolge. Bruno Kreiskys „Lernen Sie Geschichte“ ist immer wieder aktuell.