Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Auf ein friedliches 14er-Jahr in Europa

1914 begann der Erste Weltkrieg, mitten in Europa. 2014 gehen wir in den EU-Ländern zu freien Wahlen.

Dr. Helmut Brandstätter
über die Zukunft

Auf die Frage von KURIER-Redakteuren, welches Buch er gerade lese, meinte der neue Außenminister Sebastian Kurz, er müsse im Moment Berge von Akten lesen, die müsse er Büchern vorziehen. Das war keine kluge Antwort. Akten mögen wichtig sein. Aber gerade ein junger Politiker muss im kommenden EU-Wahljahr die noch immer präsenten historischen Verstrickungen der europäischen Völker verstehen. Und da lernt man aus Büchern mehr als aus Akten.

Bei Arnulf Baring zum Beispiel. Der 81-Jährige hat seine Lebenserinnerungen unter dem Titel „Der Unbequeme“ verfasst, und unbequem ist er noch immer, auch in seinen Ansichten. Baring hat als junger Wissenschaftler den SPD-Kanzler Willy Brandt, vor allem dessen dialogbereite Ostpolitik gegenüber den kommunistischen Staaten, verteidigt. Er hat dann FDP-Chef Hans Dietrich Genscher unterstützt, wofür er aus der SPD ausgeschlossen wurde und vertritt heute Standpunkte, die man als nationalistisch bezeichnen könnte. „Wenn der Europagedanke vom Gedanken der Nation abzulenken vermag und Europa in der politischen Öffentlichkeit die Nation ersetzt, ist das Zeichen einer großen Schwäche.“ Baring formuliert das als Vorwurf an die eigene Regierung.

Hier kann man durchaus anderer Meinung sein. Aber entscheidend ist, dass ein einiges Europa nur dann eine Chance hat, wenn sich die verschiedenen Nationen ähnlich entwickeln. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in ihrer Bereitschaft, politische Macht an notwendige zentrale Institutionen abzugeben. Mit Gewalt oder auch nur Propaganda geht gar nichts, wenigstens das sollten wir aus der Geschichte gelernt haben.

Aber auch das gilt: Politiker, die gebannt und ängstlich auf die tägliche Meinungsumfrage starren, werden nichts weiterbringen. Baring schildert das besondere Verhältnis, das seine Generation noch heute zu den USA verspürt. Ohne den Marschall-Plan, die von Präsident Truman durchgesetzte Hilfe der USA für die Staaten Nachkriegseuropas, hätte sich dieser Kontinent nicht so schnell entwickeln können. Hätte Truman wenige Jahre nach Hitlers Krieg sein Volk gefragt, ob man den Deutschen helfen solle, hätte er niemals eine Mehrheit für diese Aktion erhalten.

Die Erinnerungen von Menschen, die, wie Baring, den Zweiten Weltkrieg zumindest noch als Kind erlebt haben, sind aus noch einem Grund so wichtig: Sie tragen keine Schuld, aber spüren die enorme Verantwortung. Sie haben erlebt, wie politische Hetze aus Klassenkameraden und Nachbarn Feinde gemacht hat. Und sie haben davon profitiert, dass nach dem Krieg eine Generation von Politikern daran gearbeitet hat, in Europa nach Jahrhunderten von grausamen Kriegen einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Wie viel Nationalismus richtig und erträglich ist, darüber sollten wir gerade im Jahr gemeinsamer Wahlen diskutieren.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des KURIER einen guten Rutsch und ein erfolgreiches, aber auch liebevolles und friedliches Jahr 2014.