Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Kurz darf sich nicht mehr lange zieren

Kurz' einzige Chance, nicht wie Mitterlehner zu enden: Sofortige Übernahme der Partei und Neuwahlen.

Josef Votzi
Josef Votzi über Sebastian Kurz' Perspektiven

Die Stunde der Wahrheit schlägt oft am Schluss. "Mitterlehner war seit der verpfuschten Präsidentschaftskandidatur angeschlagen", resümierte gestern ein ÖVP-Grande offenherzig wie nie im Gespräch mit dem Autor: "Endgültig als Parteichef nicht mehr ernst genommen wurde er, als er sich drei Wochen vor der Hofburgwahl Wolfgang Sobotka als Innenminister reindrücken ließ." Es ist bald eineinhalb Jahre her, dass Andreas Khol in letzter Minute für Erwin Pröll einsprang. In den Traditionsparteien gehen die Uhren verdammt langsam. Kein Wunder, dass ihre Zeit rasend zu Ende geht.

Auch Reinhold Mitterlehner nutzte seinen Abgang, um eine paar subjektive Wahrheiten zu deponieren: Eine letzte Abrechnung mit den Medien und einige indirekte, aber deutliche Seitenhiebe für seinen einzigen ernsthaften Nachfolger, Sebastian Kurz. Als Wirtschafts- und Wissenschaftsminister machte Mitterlehner unspektakulär, aber sachbezogen einen guten Job. Auch als ÖVP-Chef setzte er auf seine gelernte Sozialpartnerrolle als "Mann des Ausgleichs". Für den Herkulesjob, die widerstrebenden Kräfte in Partei und Regierung unter einen Hut zu kriegen, hatte die Politik der alten Schule nicht mehr gereicht. Nach dem neuerlich gescheiterten Versuch, den widerborstigen VP-Innenminister zu feuern, blieb nur ein Abgang in Würde.

Stimmung schon einmal erfolgreich gedreht

Wer in dieser Lage die Geschäfte in ÖVP und Regierung übernimmt, muss ein Masochist sein – oder er hat einen Plan. Sebastian Kurz hat als Integrations- und Außenminister bewiesen, dass er in der Lage ist, Konfliktfelder zu antizipieren und Stimmungen erfolgreich zu drehen: Vom Bruch des blauen Monopols in der Ausländerpolitik bis zur Vorreiterrolle beim Schließen der Balkanroute.

Kaum zu glauben: Die ÖVP ist bisweilen ein noch mühsameres Geschäft als Integrations- und Flüchtlingspolitik. Noch ziert sich Kurz, Ja zu sagen. Sein flapsiges "In diesem Zustand übernehme ich die Partei nicht" wird und kann Teil eines taktischen Spiels sein, um den ÖVP-Länderfürsten und Bünde-Chefs eine Generalvollmacht bei Politik und Personal abzutrotzen. Noch murren einige: Dass sie "nur mehr kuschen", werde es nicht spielen. Gestern machten so wilde Spekulationen über Provisorien von Sobotka über Rupprechter bis zu Schelling als Übergangs-Parteichefs und/oder Vizekanzler die Runde. Das wäre der Anfang der Kurz-Dämmerung, auf die Parteigegner, aber auch schon mancher Parteifreund hoffen.

Kurz’ einzige Chance, nicht wie Mitterlehner zu enden, ist, die Partei sofort mit klaren Durchgriffsrechten zu übernehmen. Spektakulär und plausibel wäre, wenn Kurz danach die Courage für einen totalen Durchstart hat. Motto: Weder Christian Kern noch er haben als künftiges Regierungsduo ein Mandat vom Wähler. Daher: Neuwahlen jetzt – und danach ein echter Neuanfang in welcher Konstellation auch immer. Mit einem klaren neuen Auftrag jener, von denen dieser Tage nur selten die Rede ist: dem einzigen Souverän im Land, uns Wählern.