Ein Lebenszeichen am Konto reicht nicht
Von Josef Votzi
Ein Lebenszeichen am Konto reicht nicht.
über die Existenzberechtigung von Rot-Schwarz
Die Mehrzahl der Österreicher hat den Live-Auftritt von "Mister 99 Prozent" zur Schlafenszeit wohl erst am Morgen danach vernommen: Wenn die Regierung nicht bis März 2015 ihren Job macht und gemeinsam eine Steuerreform schnürt, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren, tat Reinhold Mitterlehner drei Tage nach seiner Kür zum ÖVP-Chef in der ZIB2 kund. Es wird nicht wenige geben, die sich am Weg in die Arbeit die Augen gerieben und gedacht haben: No na, wenn ich meinen Job heute nicht mache, verliere ich auch meine Existenzgrundlage.
Aus dem Munde eines Politikers ist ein Satz wie dieser dennoch eine mittlere Sensation – weil längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Dienstleistung am zahlenden Kunden, dem Wähler? Selbstvergessen und selbstversessen – die politische Klasse hat erfolgreich am Bild gearbeitet, vornehmlich mit sich selbst beschäftigt zu sein: Dem Heruntermachen des Gegners, der Absicherung in den eigenen Reihen und einem möglichst gedeihlichen Bild in den Medien.
Maßlos sensationshungrige Kollegen haben aus Mitterlehners An-die-Arbeit-Ansage eine Neuwahl-Drohung herausgelesen: Die ÖVP fühle sich derart im Aufwind, dass sie bald Marsch aufs Kanzleramt nehmen will. Mitterlehner ist zwar auffallend entspannt, aber kein Hasardeur. Als geeichter Verhandler weiß er um die Tücken des politischen Geschäfts. Der Juniorpartner einer Regierung bleibt auch bei gemeinsamen Erfolgen bestenfalls Zweiter. Grund genug für die aktuelle Nummer zwei, sich vorab als treibende Kraft eines Projekts zu positionieren, das kommen wird und kommen muss. Denn Mitterlehner predigt sein Mantra intern bereits seit Wochen: Eine Arbeitstherapie ist das einzige Überlebensrezept für die bisher dahinsiechende Koalition.
Billigeres Wohnen blieb billiges Schlagwort
Mit einem Lebenszeichen am Lohnkonto wird es nicht getan sein, um – frei nach Mitterlehner – die Existenzberechtigung von Rot-Schwarz nachhaltig zu belegen. Bessere Schulen! Billigeres Wohnen! Seit diesen Wahlkampfversprechen ist mehr als ein Jahr ins Land gezogen. Statt billigerer Mieten gibt es im Wiener Vorwahlkampf nur alte Kalauer wie eine "Leerstandsabgabe" auf unvermieteten Wohnraum. Schluss mit halb lustig: Wenn es zu wenige leistbare Wohnungen gibt, müssen Staat und Private nachhelfen. Das ist in schwachen Wachstumszeiten doppelt gefragt. Der Chef des Baustoff-Konzerns Wienerberger schlägt dieser Tage – nicht uneigennützig – in einem Brief an EU-Kommissionschef Juncker vor, einen Teil der geplanten 300 EU-Milliarden zur Konjunkturbelebung in den sozialen Wohnbau zu stecken. Ideen wie diese und vor allem Nägel mit Köpfen auch aus den Reihen der Politik sind dringend gefragt.
Reinhold Mitterlehner hat die Debatte um die Existenzberechtigung der rot-schwarzen Koalition neu eröffnet. Ab sofort ist vom Kanzler abwärts das ganze 16-köpfige rot-schwarze Kabinett gefordert.