Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Die widerstandslos ausgebeutete Freiheit

Die digitale Gesellschaft liefert sich zunehmend einer Zwangsherrschaft der anderen Art aus.

Andreas Schwarz
über die digitale Kontrolle

Die Freiheit gilt als hehrstes Gut einer aufgeklärten Gesellschaft. Wie oft wurde seit der Französischen Revolution um sie gekämpft? Und wenn sie heute bedroht ist, droht zumindest ziviler Widerstand.

Ist das so? Oder hat der in Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han recht, für den Zeiten der Freiheit nur Zeiten des Übergangs von einer Zwangsherrschaft zur nächsten sind? Und der sich wundert, dass wir nicht erkennen, mit unserer Transformation von der analogen zur digitalen Gesellschaft am Ende eines solchen Überganges zu stehen?

Dazu drei Beispiele aus dieser Woche. Ein Texaner wurde kinderpornografischer Inhalte auf seinem Computer überführt, weil Google alle Mails und Suchen nach einschlägigen Hinweisen abscannt und meldet. Das ist auf den ersten Blick gut: Zur Verfolgung dieses widerlichen Verbrechens sollte (fast) jedes Mittel recht sein. Aber welche Inhalte scannt Google aus ganz anderen Interessen sonst noch? Wir ahnen mehr, als wir wissen wollen.

Eine russische Hackergruppe hat mehr als eine Milliarde Passwörter im Netz geklaut, was immer sie damit tut. Es ist der bisher größte Hackerangriff staatlicher und nichtstaatlicher Cyberkrimineller. Das sind die, die die Gurus des Netzes und deren Versicherung, alles im Griff zu haben, permanent ausbremsen.

Die USA suchen einen "zweiten" Ed Snowden. Was daran erinnert, dass uns der erste vergangenes Jahr vor Augen geführt hat, wie Geheimdienste nahezu alles, was sich im Netz abspielt, ausspionieren – zum guten Zweck der Terrorbekämpfung und zu welchem anderen immer.

Der Geist ist aus der Flasche

Und wen kümmert’s noch? Auflehnung gegen die digitale Kontrolle, die nicht wirklich greifbar ist und von Apologeten der Freiheit im Netz als Paranoia abgetan wird? Skepsis gegenüber den selbst ernannten Weltverbesserern der " Vereinigten Staaten von Google" (© Die Zeit)? Ein paar politische Bekenntnisse zu mehr Sicherheit, ein hilfloses Löschrecht auf Google-Einträge, das war’s dann – Motto: Der Geist ist ohnedies längst aus der Flasche.

Aber vielleicht hat der Defaitismus vor einer neuen, einer ganz anderen Zwangsherrschaft abseits bisher gekannter Unfreiheiten auch damit zu tun, dass unser Verhältnis zur Freiheit ohnehin ein ambivalentes ist. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Sehnsucht nach Geboten, Verboten, Reglementierungen in allen Lebensbereichen so verbreitet ist? Das ist auch nur eine Form der ersehnten Kontrolle. Wie die im Netz.

Dieser "smarten Macht", wie Byung-Chul Han in seinem Büchlein "Psychopolitik – Neoliberalismus und neue Machttechniken" schreibt, leisten wir Vorschub. Indem wir die "freiwillige Selbstausleuchtung und Selbstentblößung" im Netz nicht nur zulassen, sondern sie lieben. Das tut die Gesellschaft mit hinreißender Blauäugigkeit. Weil sie sich einer "Machttechnik" gegenüber sieht (oder eben nicht), die die Freiheit nicht in Frage stellt oder gar unterdrückt. Sondern die sie erst postuliert – und dann ausbeutet. Wenigstens die Freiheit, das zuzulassen, nimmt der Gesellschaft niemand.