Das Volk hat nicht automatisch recht ...
Von Josef Votzi
Das Volk hat nicht automatisch recht ...
über Parlaments-Mehrheiten
135 Gesetze wurden in drei Tagen durchgewunken – ein sinnlos hysterischer Parlaments-Kehraus. Für einen Entschluss gebührt dem Hohen Haus aber lange anhaltender Applaus. Die Regierung wollte als Nr. 136 noch ein „Demokratiepaket“ durchpeitschen.
Kernstück ist ein radikal anderer Weg, Politik zu machen. Über jedes Volksbegehren, das zehn Prozent der Wähler (derzeit 600.000) unterschreiben, soll automatisch das ganze Volk befragt werden. Sagt die Mehrheit Ja, wird es nicht juristisch,aber politisch zwingend Gesetz. Zu einem Ja des Volkes(begehrens) hinterher Nein zu sagen, ist selbst für politische Titanen Harakiri mit Anlauf.
Die Parlaments-Mehrheit kann ein von einer Minderheit der Wähler initiiertes Volksbegehren im Erfolgsfall nur noch demütig abnicken. Hinter den Kulissen gab es so seit Wochen heftige Kritik an der „Entmündigung“ der gewählten Volksvertreter. Laut zu sagen getraute sich das nur eine halbe Handvoll der 108 rot-schwarzen Abgeordneten. Sie fürchteten den Bannstrahl ihrer Chefs. Michael Spindelegger hatte den Schlachtruf „Mehr Demokratie“ bereits im Vorjahr als Ablenkungsmanöver benutzt, um sich aus dem Skandal-Sumpf im U-Ausschuss zu ziehen. Werner Faymann sprang auf den fahrenden Zug auf, um am Ende nicht allein als „Volks-Feind“ dazustehen.
Die Stunde des Fischer
Mit Heranrücken des Wahltermins gefror die Widerspruchs-Lust am Nullpunkt. Laut Widerspruch meldete jüngst ein Spitzenpolitiker an, dem aus Kreisky-Tagen der Ruf nachhängt, er verdünnisiere sich, sobald es brenzlig werde. Bundespräsident Heinz Fischer zog im KURIER-Interview Ende Juni couragiert die Populismus-Notbremse. Ergebnis: Das Parlament gewährte sich in Sachen ‚„Volksgesetzgebung“ doch noch eine Nachdenkpause – samt dem bei wichtigen Gesetzen üblichen Begutachtungs-Verfahren.
Nun können und müssen Sozialpartner, Landespolitiker und Experten klar Ja, Nein oder Jein sagen, ob sie die Gesetzgebung künftig tatsächlich Zeitungszaren, mächtigen Lobbys oder – neuerdings – Milliardären mit Macht-Ambitionen überlassen wollen. Denn erfolgreiche Volks-Begehren gingen hierzulande immer von großen Zeitungen, Lobbys oder, noch schlichter, von Parteien als Aufwärm-Runde für den Wahlkampf aus.
Eine „Volksgesetzgebung“ macht Österreich endgültig zu jener „Boulevarddemokratie“, vor der der Politologe Fritz Plasser warnt. Sein zentrales Argument: In keinem anderen EU-Land spielen Boulevard-Medien eine derart dominante Rolle. Sie betreiben, so Plasser, „in informeller Koalition mit politischen Akteuren redaktionellen Populismus, der den politischen Populismus verstärkt“.
Wer noch mehr davon möchte, ist mit dem „ Demokratiepaket“ bestens bedient. Wer nicht in einer Boulevard-Demokratie enden will, wird dazu lauter Nein sagen müssen. Damit das Volk tatsächlich einmal mehr zu reden bekommt – und eine vernünftige öffentliche Debatte keine Fata Morgana bleibt.