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Angela Merkel: Gefühle und Macht

Die deutsche Kanzlerin leistete sich, ihre Gefühle zu zeigen. Und hat eine reale Grundlage dafür.

Dr. Helmut Brandstätter
über Angela Merkel

"Weiß sie, was sie tut?" fragt die deutsche Wochenzeitung Die Zeit besorgt ihre Leser. In Deutschland haben die Hobbypsychologen unter den Journalisten Hochbetrieb, seit Angela Merkel diesen Satz gesagt hat: "Wenn wir jetzt anfangen müssen, uns zu entschuldigen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land". Emotional-kompliziert – das hätte der stets analytischen Naturwissenschaftlerin niemand zugetraut. Vergleiche mit dem abrupten Ausstieg aus der Kernenergie nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 werden herangezogen. Aber damals hat die Parteipolitikerin Merkel kühl entschieden, den Grünen keinen Raum zu lassen. Jetzt hat sie ihr Gefühl bekannt gegeben, dass Menschen in Not geholfen werden muss.

Mag sein, dass sie die Zahl der Schutzsuchenden unterschätzt und die europäische Solidarität überschätzt hat. Ein Europäischer Rat in der kommenden Woche wird da etwas Klarheit bringen. Jedenfalls muss sich sehr schnell herausstellen, ob die EU zu einer gemeinsamen Asylpolitik mit allen Konsequenzen fähig ist. Mit sicheren Außengrenzen und akkordierten Asylverfahren. Voraussetzung dafür wird eine gute Zusammenarbeit mit der Türkei sein, Außenminister Sebastian Kurz hat das Reiseziel Ankara gut gewählt. Allen Beteiligten ist klar, dass die Fortsetzung des momentanen Chaos zum Ende der offenen Grenzen in Europa führt. Mit allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen: Da bleibt nicht viel vom gemeinsamen Europa.

Was wir alles schaffen könnten

Es gibt aber einen rationalen Hintergrund für Merkels emotionalen Ausbruch: Die deutsche Wirtschaft ist gut unterwegs, aber die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung sinkt in den nächsten Jahren. Und das trotz der Zuwanderung aus Osteuropa in den letzten Jahren. Deutschland braucht Erwerbstätige und Konsumenten. Österreich hingegen wird – mit dem aktuellen niedrigen Wachstum – die Arbeitslosigkeit kaum senken können. Der neueste Innovationsindex der Berater von A.T.Kearny gibt da auch wenig Hoffnung. Wir sind gerade noch auf Platz 18, hinter europäischen Industrieländern wie Schweiz, Schweden, Dänemark oder Holland. Die Ausgaben für Forschung sind mit 2,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt gar nicht so schlecht, aber wenn es um die Umsetzung, etwa um die Neugründung von Unternehmen geht, dann sind wir würdige Erben einer Verwaltungsgroßmacht. "Gut ausgebildete Menschen in einem engen politischen Korsett – das schlägt leider auf die Investitionslaune", heißt es resignativ.

Da haben wir’s wieder: Unseren Wohlstand gefährden wir selbst. Weil die Politik sich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verirrt, mit einer Verwaltungsstruktur, die schon immer zu groß war, während immer mehr ohnehin in Brüssel entschieden wird. Einen modernen Staat und Anreize für Unternehmensgründungen brauchen wir. Dann schaffen wir auch vieles.