Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Äpfel und Birnen sind noch kein Kompott

Ist der zivile Ungehorsam gar eine gesellschafts-verändernde Revolution in der Tradition?

Andreas Schwarz
Bürgerproteste

Das politische Feuilleton von Zeit bis Economist hat gerade ein schönes Sommerthema in Arbeit: Gibt es bei den Aufständen von Kairo bis Sofia, von Ankara bis Rio einen gemeinsamen Nenner? Ist der Bürger-Unmut, nicht nur gegen Autokratien, eine globale Emanzipation oft städtischer Mittelschichten, die sich nicht mehr alles bieten lassen? Ist der zivile Ungehorsam gar eine gesellschaftsverändernde Revolution in der Tradition von 1848 oder 1968 oder 1989, mit der sich die Welt auf den Kopf stellen lässt?

Das Bemühen, ein einheitliches Bild zu zeichnen, ist ambitioniert. Dennoch ist das Bild schief. Weil Äpfel und Birnen ergeben nicht zwangsläufig ein Kompott.

Der „ Arabische Frühling“, der Ägyptens Despoten Mubarak hinweggefegt hat und dann mit freundlicher Unterstützung des Militärs und seiner Interessen den Muslimbruder Mursi, war der Protest einer aufgeklärten Menge, die Nepotismus und Allmacht nicht mehr dulden mochte – notabene bei gleichzeitiger Herabwirtschaftung einer Nation. Die steht jetzt am Rande des Bürgerkrieges.

Der Protest in der Türkei ist der einer vom Wirtschaftsboom gestreichelten Minderheit gegen die Entsäkularisierung des Staates durch seinen ehemaligen Modernisierer. Weil der das Maß seiner Popularität längst verloren hat und sich über Privatheit und Freiheit seiner Gesellschaft hinwegsetzt.

In Bulgarien gehen die Menschen wegen hoher Preise und galoppierender Armut auf die Straße und/oder weil ihnen die Regierung nicht passt. In Brasilien gärt der Unmut, weil Großprojekte wie die Fußball-WM, Olympia und selbst der Papstbesuch im finanziellen Kontrast zur Lebensausstattung der Masse stehen.

Die Frage der Legitimität

Das alles hat wenig bis nichts mit Auflehnungen gegen Bahnhofsprojekte in Deutschland zu tun. Oder mit überschätzten Blockupy- und Occupy-Bewegungen gegen die Banken in Frankfurt und New York. Oder mit Protesten gegen die Ausbeutung der Textilarbeiter in Bangladesch. Auch nicht mit der Kultfibel „Empört Euch“ des französischen Autors Stéphane Hessel. Und dass sich der Unmut über soziale Netzwerke organisiert, ist der Technologie der Zeit geschuldet – Klammer ist es keine.

Dann eher schon die Frage nach der Legitimität, demokratisch getroffene Entscheidungen mit dem Druck der Straße korrigieren zu wollen. In Bulgarien musste der alte Premier dem Druck weichen, und als er wieder gewählt wurde und verzichtete, kam die neue Regierung in Verschiss. In Ägypten gewannen nach Mubaraks Ende die Muslimbrüder mit absehbarem antiliberalem Kurs die Wahl – eine Mehrheitsentscheidung ohne Wert.

Die hinführt zur Diskussion: Was, wenn wie einst in Algerien eine Partei mit dem klaren Ziel, die Demokratie und das eine oder andere Grundrecht auszuhebeln, demokratisch an die Macht gelangt? Diese noch lange nicht beantwortete Frage ist spannender als der spekulative Ruf: Demonstranten aller Welt, vereinigt Euch, dann werden sich die Herrschenden schon fürchten.