Meinung/Kommentare/Aussenpolitik

Mit Gottes Segen

Für Präsident Erdogan ist der Putschversuch wie ein aufgelegter Elfmeter ohne Tormann.

Stefan Kaltenbrunner
über den Militärputsch in der Türkei

Für den türkischen Präsidenten ist der gescheiterte Militärcoup „ein Segen Gottes“, wie er selbst sagt. Laizistisch könnte man es freilich auch als einen aufgelegten Elfmeter ohne Tormann titulieren. Die dilettantisch durchgeführte Machtübernahme von Teilen der Armee spielt dem Präsidenten in allen Belangen in die Hände. Egal ob Linke, Liberale, Kurden oder Kemalisten, niemand aus der Opposition unterstützte die Putschisten. Die Aufständler haben es also binnen weniger Stunden geschafft, dass sich nahezu die gesamte Nation, wenn auch nur kurzfristig, hinter Erdogan stellt.

Dass sich die Putschisten dermaßen verschätzten, ist erstaunlich und bietet Stoff für zahlreiche Verschwörungstheorien, etwa, dass der Putsch von Erdogan selbst in Auftrag gegeben wurde. Fakt ist: Auch wenn die Unzufriedenheit über den autoritären Führungsstil und die Einschränkung der Freiheiten in weiten Teilen der türkischen Bevölkerung groß ist, wollte kaum jemand, dass deswegen die Panzer rollen und das Militär, wie schon mehrmals in der jüngeren Geschichte der Türkei, wieder die Macht übernimmt.

Die Rädelsführer dürften darauf spekuliert haben, dass, wie bei den Militärcoups 1960, 1971 und 1980, die Mehrheit der Bevölkerung den Umsturz mitträgt. Diese Einschätzung ist gründlich in die Hose gegangen und wird den Präsidenten noch weiter stärken.

Es ist kaum anzunehmen, dass Recep Tayyip Erdogan die neue, wenn auch fragile Einheit dazu nützt, die über die Jahre durch seinen autoritären Führungsstil aufgerissenen Gräben wieder zu schließen. Das Gegenteil ist leider zu befürchten. Der Präsident wird seine Säuberungswelle innerhalb der Militärs und auch innerhalb der Regierungspartei AKP mit noch mehr Vehemenz vorantreiben. Er wird die Meinungsfreiheit und die persönlichen Rechte noch weiter einschränken und den Krieg gegen die Kurden im Südosten des Landes forcieren. Nur Stunden nach dem Putsch wurden fast 3.000 Richter entlassen, und der Premier fordert offen die Wiedereinführung der Todesstrafe. Alles Maßnahmen, die die Türkei noch weiter ins Chaos stürzen werden.