Meinung/Kommentare/Aussenpolitik

In Geiselhaft einer Minderheit

Dass die Parteibasis die Geschicke eines Landes entscheidet, ist grober Unfug

Andreas Schwarz
über Deutschland

Der SPD-Chef hat hoch gepokert: Mit der Entscheidung, die Parteibasis über den Koalitionsvertrag mit Angela Merkel abstimmen zu lassen, hat er geschickt Verhandlungsdruck erzeugt und viel gewonnen. Jetzt muss die Basis freilich erst Ja sagen zur Großen Koalition – und dieser Sanktus ist trotz heiliger Vorweihnachtszeit zumindest fraglich.

Vor allem aber ist er fragwürdig. Oder anders: Parteimitglieder die Regierungsform eines Landes bestimmen zu lassen, ist demokratiepolitisch grober Unfug.

Eine Partei ist für die Entwicklung eines Staates und seiner Bevölkerung da, fraglos unter Verwirklichung eigener Ziele, nicht für ihre Mitglieder. Die 475.000 SPD-Mitglieder aber sind nicht die Bevölkerung. Sie repräsentieren nicht einmal die SPD-Wähler, sondern sind gerade einmal 3,5 Prozent von ihnen. Und sehr wahrscheinlich ist jemand, der einer Partei als Mitglied beitritt, inhaltlich eher auf der kompromisslosen „Hardcore“-Seite zu finden, während die Mehrheit ihrer Wähler vermutlich Lösungsversuchen, Kompromissen, Sachorientierungen gegenüber aufgeschlossen ist.

Warum also darf eine Minderheit eine ganze Republik in Geiselhaft nehmen?

Der Unfug resultiert aus dem Trend in der Politik, Vertrauen durch Delegierung von Entscheidungen an das Volk zurückzugewinnen. Anstatt das Volk ernst zu nehmen, ihm zuzuhören und dann verantwortlich Entscheidungen zu treffen, die das Volk nicht treffen kann/darf.