Meinung/Kommentare/Aussenpolitik

Der ganz normale Wahnsinn

Was weiß er schon von der Angst, bei Teilzeit weg vom Fenster zu sein?

Ulrike Botzenhart
über "Teilzeitminister" Gabriel

Medienwirksam verkündete Vizekanzler Sigmar Gabriel, dass er jeden Mittwochnachmittag für seine zweijährige Tochter reserviert hat. Er eilt von Berlin nach Goslar, um Marie vom Kindergarten abzuholen. Dafür wird er nun als Teilzeitminister verhöhnt. Hat er das verdient?

Nein. Denn es ist – auch wenn er damit auf Wählerstimmen hoffen mag – zumindest ein Signal in unserer arbeits- und karrierefixierten Gesellschaft.

Ja. Denn mit Teilzeit und dem schmerzhaften Spagat zwischen Familie und Beruf hat das natürlich gar nichts zu tun – nicht nur wegen Gabriels Einkommen als „Superminister“ und seiner 70-Stunden-Arbeitswoche.

Was weiß er schon von der Angst, bei Teilzeit weg vom Fenster zu sein? Und was von empfindlichen Einkommenseinbußen? Was weiß er von der Sorge, gekündigt zu werden, weil man als Teilzeitkraft „eh nie da ist“? Und dem Druck, in weniger Zeit so viel wie die anderen zu schaffen? Was weiß er davon, wie es sich anfühlt, nicht mehr ganz dazuzugehören? Irgendwo im Unternehmen „verräumt“ zu werden? Karrieresprünge vergessen zu müssen? Und gleichzeitig immer zu überlegen und zu planen, wer, wo, wann den Nachwuchs abholt, versorgt, mit ihm spielt, lacht oder die Tränen abwischt. Von zu vielen Krankheitstagen für den begrenzten Pflegeurlaub und den zu überbrückenden Ferientagen ganz zu schweigen. Aber es ist gut, wenn durch Gabriel eine Debatte über den „ganz normalen Wahnsinn“ angefacht wird.