Zündstoff: (K)indische Utopien
Schon lange vor dem Besuch des chinesischen Staatschefs war klar, warum sich die politische Empörung über die Vergabe der Olympische Spielen 2008 an die Volksrepublik China in Grenzen gehalten hatte: Weil gute Geschäfte eben mehr zählen als Menschenrechte. Unverständlich ist auch, warum kaum jemand etwas daran findet, dass ein Formel-1-Rennen in Indien ausgetragen wird. Wohltuend wirkte allein der lakonische Kommentar des Radio-Reporters Prohaska: "Vettel hat an diesem Nachmittag so viel verdient wie der durchschnittliche indische Arbeiter in eintausend Jahren." Die richtige Antwort auf die provokante, arrogante und dumme Analyse, die der Red-Bull-Motorsport-Chef Helmut Marko über das Verhältnis zwischen Formel 1 und Indien abgesondert hatte. Dr. Marko sagte sinngemäß und allen Ernstes: Die armen kleinen Inderlein werden sich wahrscheinlich leider nie ein echtes Auto leisten können. Jetzt aber hat ihnen die segensbringende Formel 1 gezeigt, was alles mit ehrlicher, harter Arbeit möglich ist. Und so werden sie noch viel härter arbeiten, um sich vielleicht ein Moped leisten zu können. Abartige Verzerrung der Wirklichkeit. In einer Zeit, in der weltweit nach alternativen Energiequellen geforscht wird; in einer Zeit, in der (angeblich ernsthaft) versucht wird, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen, beschränkte sich die Sorge der PS-Freaks darauf, dass ein Star mit einem streunenden Hund oder einer Kuh kollidieren könnte. Ein indischer Multimilliardär hat dem bettelarmen Riesenland zu diesem Spektakel verholfen. Profitieren werden genau er und ein abgehoben elitärer Rennsport-Zirkus. Ach ja: Auch ein paar Menschen, die dadurch kurzfristig Arbeit fanden. Fast jedes zweite indische Kind ist unterernährt. Fast jeder Zweite der 1,2 Milliarden Inder muss mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen. Sollte es sonst noch Fragen zu Indien geben: Frag nicht den Inder - frag den Marko ...