Reine Utopie oder doch 15 Wege zum Glück
Von Jürgen Preusser
Österreich produziert die erste olympische Nullnummer seit Tokio 1964 – und damit das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Denn damals waren 5000 Sportler aus 93 Nationen in 163 Disziplinen am Start. In London sind es 12.000 aus 204 Ländern in 302 Disziplinen.
Für den österreichischen Sport muss dieses lächerliche Ergebnis die Initialzündung für eine komplette Reform des Systems sein. Diese darf weder von parteipolitischen Machtspielchen noch von kosmetischen Alibi-Aktionen getragen werden. Klingt nach Utopie ...
... ist es auch. Denn die bisher gehörten und gelesenen Ansätze greifen viel zu kurz. Der österreichische Sport muss neu erfunden werden. Das hier ist ein Versuch:
1. Hauptfach Sport
Es kann nicht sein, dass eines der reichsten Länder der Welt praktisch keinen Sportunterricht in den Schulen hat. Nicht einmal eine Sportstunde pro Woche ist gewährleistet. Andere europäische Ländern haben die tägliche Sportstunde längst umgesetzt. In Ländern mit vielen Medaillen wie Dänemark, Ungarn und den Niederlanden wird Sport als Hauptfach unterrichtet. Und zwar mit der Möglichkeit, sich zu spezialisieren, wenn ein eindeutiges Talent erkennbar wird.
2. Kindergarten bis Uni
In den Volksschulen wird mit Lehrern herumgeturnt, die noch nie ein Sporttrikot getragen haben und auch alle anderen Gegenstände unterrichten. Im Kindergarten und in Berufsschulen gibt es gar keinen Sport. Ein College-System, das Sport an den Unis garantieren würde, ist in Österreich undenkbar. Würde Sport in der PISA-Studie berücksichtigt, wäre der letzte Platz fix. Noch kein Politiker hat erkannt, dass erfolgreiche Sportler aufgrund von Leistungsbereitschaft und Teamgeist die Manager-Generation der Zukunft bilden könnten.
3. Gesundheit
Österreichs Schüler haben verheerende medizinische Werte. Nur dreißig Prozent beherrschen einen Purzelbaum. Fettleibigkeit und Haltungsschäden sind alarmierend im europäischen Vergleich. Das Gesundheitsministerium ist gefragt: Professionelle Aufklärung über den Wert des Sports als Therapie und Vorsorge ist unumgänglich. Der Umstand, dass langfristig die Volksgesundheit erheblich verbessert werden könnte, ist kein politisches Thema. Nicht einmal die Tatsache, dass man sich im angeblich unfinanzierbaren Gesundheitswesen sehr viel Geld ersparen könnte –, aber eben erst in der über-übernächsten Legislaturperiode.
4. Offene Türen
In allen vergleichbaren Ländern sind Turnhallen und Sportplätze an den Abenden, Wochenenden und auch in den Ferien offen und oft öffentlich zugänglich. In Österreich sind die Ferien besonders lang und die Anlagen geschlossen, wenn kein Unterricht stattfindet. Ob Vereine und Privatpersonen dort trotzdem Sport betreiben können, hängt von der Gunst von Schul- und Platzwarten, im besten Fall vom Direktor ab.
5. Sportstätten
In Österreich gibt es Schulen ohne Turnsaal und ohne Sportplatz. Dieser Zustand ist untragbar. Abgesehen davon, dass große Städte über keine Mehrzweckhallen verfügen und der Sportstättenbau als politisches Thema tabu ist. In diesem Punkt sind auch die Bürgermeister gefragt. Speziell in der sogenannten Sportstadt Wien, die diesen Titel nicht einmal im Scherz verdient: Es gibt keine einzige funktionstüchtige Multifunktionshalle. Ein Lokalaugenschein – z. B. in Kroatien – wäre ein Anfang.
6. Eltern in die Pflicht
Nicht alles liegt in der Verantwortung von Politik und Bildungswesen: Im sportlich erfolgreichen Schweden darf man einem Elternverein nur beitreten, wenn man bereit ist, Schulkinder einen Nachmittag pro Woche im Sport- oder Musikunterricht zu betreuen. Dieses Engagement ist hoch geachtet in den jeweiligen Gemeinden. Bei Wettkämpfen von Schulmannschaften sind die Tribünen voll. In Österreich scheitern Schulmannschaften oft schon daran, dass die Eltern nicht bereit sind, ihre Kinder zu Trainings oder Matches zu führen. (Abgesehen davon, dass ihnen nicht selten das Radfahren verboten wird, weil es zu gefährlich sei ...) In den baltischen Staaten stehen Schulbusse als Shuttles für Sportmannschaften zur Verfügung.
7. Vereine & Schulen
In Norwegen und Finnland – wo natürlich ebenfalls Medaillen bejubelt werden durften – bekommt die Schule eine Förderung, wenn sie eine erfolgreiche Vereinsmannschaft stellt. In Österreich gibt es praktisch keine Zusammenarbeit zwischen Vereinen und Schulen; in ländlichen Gemeinden funktioniert das noch am ehesten. Dabei muss man gar nicht neidisch nach England und Amerika blicken, wo sich Schulen über Sport-Teams definieren.
8. Finanzierbarkeit
Um die derzeit fruchtlose Struktur zu reformieren, müsste Geld in die Hand genommen werden. Viel Geld! Erfolge werden sich aber erst langfristig abzeichnen. Deshalb wird es die Politik nicht riskieren, dieses heiße Eisen anzufassen, weil alle fünf Jahre Wahlen stattfinden und kurzsichtiger Populismus eben effizienter ist. Wenn man aber wenigstens die Basis dafür schaffen könnte, dass Fachverbände in Wirtschaftsbetriebe nach unternehmerischen Richtlinien umgewandelt werden, wäre ein Anfang gemacht. Abgesehen davon: Gibt es außer Red Bull, der Bäckerei Ströck und ein paar anderen Firmen und Banken keine österreichischen Unternehmen, die sich im Sport profilieren wollen? Wenn doch: Jetzt wären sie gefragt.
9. Politik & Entpolitisierung
In Österreich ist Sport-Politik ein Fremdwort. Der Gesetzesentwurf und die aggressive Offensive von Sportminister Darabos mögen ja ambitioniert wirken, doch dreißig Jahre lang wurde das Thema Sport von einem Ressort ins andere geschoben. Der ehemalige Gesundheitsminister Außerwinkler erfuhr erst bei seiner Antritts-Pressekonferenz, dass er auch Sportminister ist. Die Verbände sind Abstellgleise für politische Wichtigtuer, die in anderen Sparten gerade nicht verwendbar sind. Die Parteien achten nur darauf, dass sich die Kontrolle nicht zum Gegner verschiebt. Die Entpolitisierung der Fachverbände ist wohl das am schwierigsten erreichbare Ziel.
10. Sportverwaltung
Die Bundessport-Organisation (BSO) leistet sich drei politisch eingefärbte Dachverbände: Union, ASKÖ und ASVÖ. Das bedeutet den dreifachen Verwaltungsaufwand. Sogar Landes- und Teilorganisationen haben eigene Pressesprecher, die keinen Journalisten kennen. Entpolitisierung der Dachverbände? Noch einmal Fehlanzeige. Keine Partei ist bereit, die politischen Machtspielchen auf dem Buckel der Sportler aufzugeben. Dabei ginge es ja gar nicht um das Schreckgespenst einer Auflösung der Dachverbände: Viele ehrenamtliche Funktionäre sind besonders im Breitensport völlig unentbehrlich und engagiert. Es ginge ja nur um die Zusammenlegung und damit um die Straffung des Verwaltungsaufwands.
11. Scouting
Im Fußball gab es lange Zeit keinen einzigen österreichischen Scout. Dass diese Notwendigkeit verschlafen wurde, ist einer der Hauptgründe für den kompletten Niedergang, der auf Vereinsebene gegen Düdelingen und auf Team-Ebene gegen die Färöer Inseln seinen Tiefpunkt erlebte. Inzwischen gibt es Scouts, wenn auch viel zu wenige. In olympischen Sommersportarten (und in vielen Wintersportarten) wurde das Thema Scouting bisher noch nicht einmal erwähnt! In Ungarn ist es völlig normal, dass alle Vereinstrainer permanent bei Schulturnieren auftauchen, um Talente zu entdecken.
12. Lizenz für Verbände
Eine neu geschaffene Kommission der zentralen Bundessport-Organisation müsste Lizenzen an Fachverbände vergeben. Diese Kommission muss aus erfolgreichen (Ex-)Sportlern bestehen (beispielsweise Roman Hagara, Peter Seisenbacher, Thomas Muster, Toni Innauer, Markus Rogan, Hermann Maier, Alexandra Meissnitzer, dazu ein erfolgreicher Manager aus der Wirtschaft) unter Einbeziehung der Sporthilfe. Die Kriterien müssten klar definiert sein. Bei Nichterfüllung einer der folgenden Kriterien wird die Lizenz entzogen:
a) Offenlegung der Finanzen und strenge Kontrolle des Spesen-Raubrittertums einzelner Funktionäre.
b) Genaue Richtlinien für die Relation von Verwaltungsaufwand und Förderung, die tatsächlich direkt dem Sport zugute kommt.
c) Bewertung der sportlichen Leistungen im internationalen Vergleich.
d) Bewertung des internationalen Stellenwerts der jeweiligen Sportart im Allgemeinen.
e) Anzahl der professionell arbeitenden Nachwuchs-Trainer. Strenge Prüfungen für Trainer nach internationalen Kriterien.
f) Anzahl der Aktiven und Vereine in Österreich unter Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Breiten- und Spitzensport.
g) Arbeits- und Kompetenz-Nachweis der Funktionäre; Ausschluss jener Leute, die nur als Strohmänner der Politik auf ihrem Sessel kleben und keine Ahnung vom modernen Spitzensport haben (= automatische Verjüngung).
13. Lizenzentzug
Fachverbände, die diese sieben Kriterien nicht erfüllen, haben das Recht, an Olympischen Spielen teilzunehmen, verwirkt.
14. Spezialmodell
Mehrfach war von sogenannten Prime Sportarten die Rede. Tatsächlich kann es nicht sein, dass Österreich im Mountain Bike zu den Exoten zählt, dass Wildwasser-Paddeln ein Randsport ist. Da geht es nicht nur um Sport, sondern auch um großartige Argumente für den österreichischen Fremdenverkehr. Die Segler vertreten das Binnenland Österreich mit seinen wunderschönen Alpenseen noch am besten. Völlig unverständlich ist es hingegen, dass die Institution des Schul-Skikurses, die zur Volkskultur zählte, zuletzt aufgeweicht und fast abgeschafft wurde. Gegen diesen Unfug war selbst der mächtige ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel machtlos.
Wollen wir womöglich irgendwann auch in der österreichischen Nationalsportart zu den Exoten zählen? Jene Sportarten, die besonders gut zum Land Österreich passen, sollten besonders begünstigt werden.
15. Image-Pflege
Österreich hat keine Sportkultur. Die Fachkompetenz der britischen Fans ist beneidenswert. In Österreich ist es nach wie vor schick, vom Sport keine Ahnung zu haben. Das gilt übrigens auch und besonders für JournalistInnen, die eigentlich auf allen Gebieten zumindest über ein gewisses Basiswissen verfügen sollten. Wenn es dem Staatsfunk gelingt, aus ORF Sport pluseinen fundierten, professionellen Sender zu machen, wäre das immerhin ein Ansatz. Ein Image-Wandel ist aber auch eine langfristige Sache. Dazu bedarf es der Reform der Elternerziehung und des Schulsystems, wie zu Beginn ausgeführt wurde.