wunder WELT: Elfriede Jelinek
Von Joachim Lottmann
Elfriede Jelinek sitzt gleich neben der Tür, im Café Korb, auf einem roten Sofa, alle Gäste im Blick. Hier sitzt sie immer, die Nobelpreisträgerin. Ein höchstneugieriger Kellner kommt alle fünf Minuten herangewieselt und bietet seine Hilfe an. Nicht der Jelinek, sondern mir. Denn ich bin neu und damit viel interessanter für ihn. Das Café Korb ist im ersten Bezirk, Brandstätte 9, nicht weit vom Stephansdom. Sein Kollege bedient die andere Sitzreihe und lacht über das ganze Gesicht. Er bleibt ewig an einem Tisch stehen, weil er bei den drei Frauen dort offenbar eine mächtige Hetz hat. Beide Kellner machen ihre Sache schon seit dem letzten Jahrhundert. Meiner wirkt verschmitzt. Die Maria sagt, dass er ihr schon einmal einen Kaffee ausgegeben hat, weil sie so lange dasaß und nichts bestellte. Die Uhr steht immer auf zwanzig vor neun. Die geht nicht. Und auch sonst wurde kein Cent in den Laden investiert seit Kriegsende. Deswegen ist die Jelinek hier so gern. Alles so gemütlich und antikapitalistisch. Die größte Autorin seit Ingeborg Bachmann - viel größer sogar, wenn Sie mich fragen - ist eigentlich soziophob. Also krankhaft schüchtern wie alle wirklich netten Leute. Aber ins Café Korb geht sie problemlos. Und immer allein. Die will einfach nur schauen, wie die Maria und ich. Ihr Blick fällt auf die 25 Tageszeitungen am Rolltisch, alle heillos zerfleddert und zerlesen, obenauf der öde, speckige "Falter". Den fasst sie wohl nicht mehr an. Und sie sieht die Fotos an den Wänden, von Valie Export und Susanne Widl bis zum rührenden Peter Weibel. Viele davon sitzen auch in natura da, neben der Allee von Gummibäumen am Fenster. Alle Gäste reden unglaublich vertraut und freundlich miteinander. Ehrlich gesagt, hier sitzt der ganze Kulturbetrieb Wiens. Zumindest der angenehme Teil davon. Und wir, wir sitzen jetzt auch immer da!joachim.lottmann(at)kurier.at