WC-Verse
Von Joachim Lottmann
Klar, jeden Tag ein Päckchen Zigaretten, mindestens, oft auch zwei, 28 Jahre lang – das gibt dann einen Entzug beim Aufhören, der sich gewaschen hat. Kein Streit darüber. Verstehe ich ja. Aber muss es wirklich so schlimm sein wie bei Heroin? Bei meiner Frau Maria scheint es so zu sein. Kein Trick hilft, keine Strategie, keine Liebe. Na, Liebe schon. So wie die junge Kim Novak in dem Film "Der Mann mit dem goldenen Arm" den damals schon kaputten Frank Sinatra von der Nadel wegbringt, allein mit körperlicher Liebe. Ich muntere sie ständig auf. Mal mit gepflegten Herrenwitzen, die sie sonst so mag, oder mit guten Nachrichten. Etwa dem Paket von ZEWA Moll. Die Firma hat uns eine ganze Anstaltspackung mit bedrucktem Klopapier geschenkt, nachdem ich – in dieser Kolumne – über den Segen der philosophischen WC-Verse berichtet hatte. Besonders kluge lese ich der Maria vor, um ihren Entzug zu mildern: "Es recht zu machen / jedermann / ist eine Kunst / die nicht jeder kann" von Lichtenberg. Sehr weise. Oder Wilhelm Busch: "Die Liebe und das / Leben ehren / Das möchten wir / Euch eben lehren". Kolossal! Doch die Maria jammert weiter. Ihr Leben habe ohne Zigarette keinen Sinn mehr. Sie werde dick. Sie werde hässlich. Der Mund trockne ihr aus. Im Kopf bildet sich langsam ein Kopfweh, das nicht mehr weggeht. Es juckt ihr die Haut, das Haar, sie kann nicht schlafen, natürlich auch nicht schreiben. Das muss sie aber. Sie arbeitet plötzlich wahnsinnig langsam, und das bei Volldepression, und muss doch pünktlich fertigwerden wie immer. Im Kino weint sie bei der ersten Gefühlsszene los und heult dann bis zum Ende weiter. Brutal! Und das in der dritten Woche. Ein Kollege "tröstete" sie nun so: "Vor 20 Jahren hörte ich auf. Und sehne mich noch immer jeden Tag nach einer Zigarette!" Ich hätte ihm eine reinhauen mögen …