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Die Firma

Wie konnten sich in einem börsenotierten Großunternehmen solche kriminellen Strukturen bilden?

Andrea Hodoschek
über die Telekom Austria

Selbst erfahrenen Beobachtern von Wirtschaftsprozessen blieb in den vergangenen zwei Wochen immer wieder die Luft weg. Dabei eröffnete der Verhandlungsmarathon über die Kursmanipulation nur erste Einblicke in das „System Telekom“. Ein Netzwerk, das skrupellose Spitzenmanager aufgezogen hatten, um Telekom-Millionen quer durch die Parteien zu verteilen und sich vermutlich auch selbst zu bedienen. Über Scheinrechnungen wurde mithilfe des Ex-Lobbyisten Peter Hochegger eine Schwarzgeldproduktion enormen Ausmaßes angeworfen. Drei weitere Anklagen sind fertig, eine vierte ist in Ausarbeitung. 28 ehemalige Politiker, Funktionäre und Kabinettsmitarbeiter standen auf Hocheggers Schmiergeldliste, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als 40 Beschuldigte.

Es waren keine Einzelfälle, sondern eine „Firma in der Firma“, die jahrelang (2000 bis 2010) perfekt funktionierte. Wie aber konnten sich in einem börsenotierten, teilstaatlichen Großunternehmen solche kriminellen Strukturen – selbstverständlich gilt für alle Verdächtigen die Unschuldsvermutung – überhaupt bilden?

Franz Fiedler, ehemaliger Rechnungshofpräsident und Beirat des Austrian Chapter von Transparency International, glaubt nicht an einen Zufall: „Das war ein Verhaltensmuster. Eine Cliquenbildung.“ Die Telekom habe das Pech einer besonders ungünstigen persönlichen Konstellation gehabt. „Einige wenige standen einander nahe und haben die Fäden gezogen. Wenn sich solche Vorfälle derart häufen, wirft das ein bezeichnendes Licht auf die Unternehmenskultur“.

Die war miserabel. „Typisch für Unternehmen, die stark verunsichert sind, eine kritische Zukunftsperspektive haben und deren Mitarbeiter frustriert sind“, meint Christine Bauer-Jelinek, Wirtschafts-Coach und Psychotherapeutin. Tatsächlich stand die Telekom damals gewaltig unter Druck. Viel zu hohe Kosten, unkündbare, beamtete Mitarbeiter, neue Konkurrenz , ein steiler Verfall der Tarife und ein voreiliger Gang an die Börse. Obendrein das Rechnungswesen dermaßen dürftig, dass zwei Monate nach dem Börsestart eine völlig unnötige Gewinnwarnung den Kurs der „Volksaktie“ im freien Fall abstürzen ließ.

Bauer-Jelinek ist überzeugt, dass die Telekom kein Einzelfall ist, „solche Netzwerke sind eine Begleiterscheinung der heutigen Unmoral des Sich-Bedienens“. Es beginnt im Kleinen. „Zuerst ist man vorsichtig. Dann werden die Täter immer mutiger“, beobachtet die Leiterin des Instituts für Machtkompetenz. Bis hin zum Größenwahn. Nach dem Motto: „Mir kann nichts passieren“. Meist sind es „Burschen mit starkem Charisma und Glamour, die andere anziehen, die auch dazugehören wollen. Ganz wenige sind die Player, der Rest sind Mitläufer“.

Sonderlich charismatisch wirken die Angeklagten in der Kursaffäre heute nicht mehr: Ex-Telekom-Chef Heinz Sundt, seine Vorstandskollegen Rudolf Fischer und Stefano Colombo sowie der ehemalige Großkunden-Bereichsleiter Josef Trimmel und der Broker Johann Wanovits. Ex-Vorstand Gernot Schieszler hofft auf den Kronzeugen-Status, Einkaufsleiter F. ist krankheitsbedingt nicht verhandlungsfähig. Das Urteil des Schöffengerichts ist für Mittwoch geplant.

Warum greifen zwei gut bezahlte Manager wie Trimmel und Schieszler sogar noch zwei Mal in ein Bargeldsackerl und nehmen sich so zwischen 15.000 und 20.000 Euro? „Es geht nicht um die Summen, die stehen nicht im Verhältnis. Es geht um den Thrill und um das Gefühl, die anderen haben ohnehin einen viel größeren Teil vom Kuchen“, analysiert Bauer-Jelinek.

Claus Raidl, Ex-Chef des Edelstahlkonzerns Böhler und Notenbank-Präsident, wundert sich nur noch: „Offensichtlich fehlte jedes Unrechtsgefühl. Die Grundeinstellung war: Alles ist möglich, wir beherrschen alles, jeder ist käuflich. Dazu kommt die Gier“. Schön langsam müsse man sich fragen, „was hat eigentlich der Aufsichtsrat gemacht?“

An dessen Spitze standen Peter Michaelis, umstrittener Vorstand der Staatsholding ÖIAG, und die Anwältin Edith Hlawati. Als Wanovits im Februar 2004 den Telekom-Kurs hinaufjagte, dadurch das Bonusprogramm auslöste und dafür 990.000 Euro Telekom-Geld kassierte, ließ der Aufsichtsrat die 8,8 Bonus-Millionen an Vorstand und Management auszahlen. „Unter Vorbehalt“, da die Medien den wundersamen Kurssprung infrage stellten und die Finanzmarktaufsicht ermittelte. „Der Aufsichtsrat wollte offensichtlich eine Konfrontation mit dem Vorstand vermeiden. Man hätte es auf eine Klage über die Auszahlung der Boni ankommen lassen müssen“, meint Raidl. Als er im Format die Rechtmäßigkeit des Kurssprunges anzweifelte, drohte ihm Telekom-Boss Sundt übrigens seinerseits mit einer Klage.

Vizepräsidentin Hlawati muss sich seit Längerem Kritik in eigener Sache gefallen lassen. Weil die Sozietät CHSH, in der sie Partnerin ist, von der Telekom seit 2001 Beratungsaufträge über insgesamt 7,13 Millionen Euro erhielt. „Der Aufsichtsrat kontrolliert den Vorstand und darf sich auf keinen Fall dem Verdacht aussetzen, Geschäfte zu machen. Auch wenn’s nicht verboten ist, macht so was optisch ein schlechtes Bild“, moniert Fiedler.

Dass Betriebe mit Staatsbeteiligung – die Republik hält an der Telekom immer noch 28 Prozent – anfälliger für Korruption sind, glaubt Fiedler nicht: „Private Firmen gestionieren wirtschaftlich besser als staatliche, aber Korruption findet sich auch in rein privaten Unternehmen. Denken Sie nur an die zahlreichen Kartellverstöße.“ Auch Raidl meint, die Skandalvergangenheit der Telekom habe nichts mit der staatlichen Miteigentümerschaft zu tun: „Diese Vorfälle kamen ja nicht von staatlicher Seite, sondern aus dem Unternehmen“.

Fragt sich, ob die interne Revision geschlafen hatte oder wegschaute. Der Telekom-Sumpf wurde eher zufällig von der Staatsanwaltschaft im Zuge von Ermittlungen über den Provisionsskandal bei der Privatisierung der Bundeswohnungen (BUWOG) entdeckt. Stimmt schon, wenn Vorstände, der Controlling-Chef (damals Schieszler) und der Einkaufsleiter zusammenspielen, wird’s schwierig. Trotzdem, Hocheggers Firmen kamen mit der Telekom immer dicker ins Geschäft, der Konzern war mit Abstand der größte Kunde. Für 16 Aufträge über insgesamt 7,5 Millionen Euro (ohne Umsatzsteuer) fanden sich bei der Aufarbeitung der Vergangenheit keine Leistungen. „Beratungsaufträge standen früher nicht so im Fokus und waren kein Thema für die Revision. Sondern der Einkauf, wo die wirklich großen Summen ausgegeben werden. Erst seit einigen Jahren weiß man, wie riskant Beratungsaufträge sein können“, verteidigt Martin Walter, seit November 2011 Compliance-Officer der Telekom, die Revision.

Nächste Frage: Die „Firma“ fuhrwerkte ungeniert, und das restliche Management bemerkte rein gar nichts? Bauer-Jelinek will das nicht glauben. „Viele kriegen üblicherweise was mit, wollen aber keine Verräter sein. Die werden einen Teufel tun, sie wissen ja nicht, ob das Netzwerk einstürzt. Unter Umständen sind sie dann selbst weg.“ Um solche Blasen bilde sich „ein Angstkordon aus Wegschauen“.

Heute dürfte die Telekom das am besten gegen Korruption gesicherte heimische Großunternehmen sein. Am wichtigsten ist, meint Walter, „ein hoher Integritätsanspruch. Den das Topmanagement vorlebt und kommuniziert.“ Nach dem Motto: Bei uns ist es nicht egal, wie wir unsere Geschäftsergebnisse erzielen. Über die Ablauforganisation wurden engmaschige Sicherheitsnetze gespannt, alle Aufträge ab 100.000 Euro muss der gesamte Vorstand absegnen. Vor einigen Wochen wurde die Whistleblower-Plattform „tell.me“ installiert. Mitarbeiter und Geschäftspartner können über diesen verschlüsselten Internet-Briefkasten Hinweise auf Missstände abgeben. „Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist damit viel größer“, hofft Walter auf die Abschreckung potenzieller Korruptionisten.

Der Compliance-Officer zitiert gerne den legendären Investor Warren Buffet: „In looking for people to hire, you look for three qualities: integrity, intelligence and energy. If you don’t have the first, the other two will kill you“. Walters Interpretation: „Wenn Sie nicht die richtigen Leute mit dem richtigen Integritätsanspruch in Führungspositionen haben, können Sie alles andere vergessen“. Die Telekom habe zwar „alles getan, was man tun kann. Aber eine Garantie, dass so etwas nie wieder passiert, die gibt es nicht.“

Im Visier der Justiz

Rudolf Fischer

Ehemaliger Vorstand für den Festnetz-Bereich. In der Kursaffäre teilgeständig. Zwei weitere Anklagen sind fertig, eine nächste droht.

Gernot Schieszler

Ex-Vorstand und ehemaliger Controlling-Chef. Packte aus, könnte der erste Kronzeuge werden und straffrei davon kommen.

Peter Hochegger

Ex-PR-Berater und Lobbyist. War die Drehscheibe des „Systems Telekom“, über seine Firmen lief die Verteilung der Schmiergelder.

Stefano Colombo

Ehemaliger Finanzvorstand, bestreitet jegliche Involvierung in die Kursaffäre, wird aber von Schieszler schwer belastet.

Heinz Sundt

Von 2000 bis 2006 Generaldirektor. Bestreitet alle Vorwürfe, wird im Prozess nicht belastet. Könnte freigesprochen werden.