Julius und der Staatsanwalt: Todfeinde fürs Leben
Von Andrea Hodoschek
Beide Seiten liefern sich ein Match, das an Härte, Emotionalität und Fouls kaum zu überbieten ist.
über Meinl und die Justiz
Seit fünfeinhalb Jahren liegen sie erbittert miteinander im Clinch, der Banker Julius Lindbergh Meinl und die Wiener Staatsanwaltschaft. Beide Seiten bleiben einander nichts schuldig und liefern sich ein Match, das an Härte, Emotionalität und Fouls kaum zu überbieten ist. Der Akt hat sich auf mehr als 44.000 Seiten ausgewachsen, plus 54.000 Seiten an beschlagnahmten Unterlagen. Es geht um den Verdacht der Untreue wegen des Rückkaufs von Papieren der Immobiliengesellschaft Meinl European Land (inzwischen verkauft, heute Atrium).
Beide Seiten erfochten Zwischensiege und kassierten Niederlagen. Ein Ende des Verfahrens ist nicht abzusehen. Will der schwerreiche Banker mit seiner Kohorte von Top-Anwälten permanent die couragierte Staatsanwaltschaft fertigmachen und denunzieren? Oder führt der (noch) leitende Staatsanwalt Markus Fussenegger einen persönlichen Kreuzzug gegen Julius V.? „Das Verfahren ist auf beiden Seiten von einer derartigen Emotionalität geprägt, das erschwert den Verfahrensgang natürlich sehr“, ist man in Justizkreisen nicht glücklich über den harten Schlagabtausch.
Jetzt hat der juristische Infight die nächste Eskalationsstufe erreicht. Bei der Staatsanwaltschaft Krems läuft derzeit ein Verfahren wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch (Aktenzahl 5 UT 126/12t). Gegen unbekannte Täter. Krems prüft, ob die Kollegen in Wien ein Beweismittel manipuliert bzw. nachträglich in den Akt geschmuggelt haben.
Es ist immer unangenehm, wenn innerhalb der Justiz ermittelt wird. Da die Staatsanwälte in Wien nicht gut gegen ihre unmittelbaren Kollegen vorgehen können, wurde nach Krems delegiert. Der Vorhabensbericht der Kremser Ermittler liegt bereits im Justizministerium, der Fall ist berichtspflichtig.
Konkret muss geklärt werden, ob eine CD mit detaillierten Angaben über geschädigte MEL-Anleger erst nachträglich dem Akt beigefügt wurde. Klingt nicht spektakulär, ist es aber. Denn davon hängt letztlich ab, ob Forderungen von 5250 MEL-Anlegern, die der Prozessfinanzierer Advofin abwickelt, verjährt sind. Wenn nicht, wird’s für Meinl teuer. Die Anleger wollen insgesamt 210 Millionen Euro von der Meinl Bank und dem heutigen MEL-Eigentümer Atrium. Aber auch persönlich von Julius V., sowie dem Chef der Bank, Peter Weinzierl, und etlichen leitenden Mitarbeitern.
Die heikle Angelegenheit kam über das Wiener Handelsgericht ins Rollen. Dort werden die Schadenersatzforderungen der Anleger abgehandelt, 30 Millionen Euro hat die Meinl Bank bis dato schon für Vergleiche berappt. Tausende Sparer hatten MEL-Zertifikate gekauft, in der irrigen Annahme, ihr Gerstl sei so sicher veranlagt wie auf einem Sparbuch. Eigentlich wären Schadenersatzansprüche, die das Jahr 2007 betreffen, schon seit 2010 verjährt. Nur dann nicht, wenn sich die vom Advofin-Anwalt Ulrich Salburg vertretenen Anleger fristgerecht und formal korrekt als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen hätten.
Das habe man selbstverständlich, die detaillierten Listen der Anleger seien der Staatsanwaltschaft 2010 per CD übermittelt worden, beteuert Salburg. Die Zeugin Angelika H., Anwältin von Atrium, sagte dagegen aus, sie habe trotz mehrmaliger Akteneinsicht die CD niemals gesehen, und ein Salburg-Mitarbeiter verwickelte sich in arge Widersprüche. Worauf Richter Andreas Pablik am 2. August 2012 samt dem Anwaltstross und Bank-Chef Weinzierl zur Beweisaufnahme in die Staatsanwaltschaft marschierte. Dort stapelten sich zwei Meinl-Akte. Ein Original-Akt und ein Kopie-Akt, der für die zahlreichen Einsichtnahmen der Anwälte angelegt wurde. Bei Großverfahren üblich. Die CD lag im Schreibtischladl von Fussenegger, der Eingang des Datenträgers war allerdings nirgends dokumentiert. Weder am Eingangsstempel des 2010 eingebrachten Schriftsatzes noch in der Aktenübersicht fand sich ein Hinweis. „Sehr seltsam“, meinen erfahrene Juristen. Schließlich gehe es um ausschlaggebende Fristen, da müsse der Eingang eines so wichtigen Datenträgers besonders sorgfältig dokumentiert werden.
Richter Pablik reichte es, und er ersuchte die Staatsanwaltschaft um „Überprüfung auf eine allfällige strafrechtliche Relevanz“. Er beantragte die forensische Untersuchung der CD sowie die Vernehmung von Staatsanwalt Fussenegger und zweier Kanzleimitarbeiterinnen. Seinen Beschluss begründete der Herr Rat mit dem Verdacht der Meinl- und Atrium-Anwälte, „dass der Ermittlungsakt nachträglich manipuliert wurde“ und dem „nicht auflösbaren Widerspruch“ des Klagsvertreters (Stalburg). Dieser gibt sich „sehr gelassen“.
Staatsanwalt Fussenegger wird jedenfalls demnächst vom Fall Meinl abgezogen, was ihn gar nicht freuen soll. Er ließ sich nach Vorarlberg versetzen und reiste allmonatlich für eine Woche zur Bearbeitung von Meinl & Co. nach Wien. „Das geht auf Dauer nicht und verzögert das Verfahren nur weiter“, argumentiert man in Justizkreisen. Der zweite Meinl-Staatsanwalt, Bernhard Löw, bekommt Verstärkung.
Den Staatsanwälten passierten in der Hitze des Gefechts schon mehrere Pannen. Oft blitzte Meinl mit seinen Einsprüchen ab, doch zwölf Mal zogen die Staatsanwälte den Kürzeren. Auch nicht gut für die Reputation der Justiz. Die Observierung von Weinzierl durch Videokameras, auf einem Verkehrszeichen vor der Bank montiert, fand selbst das Oberlandesgericht „grotesk“. Die versuchte Beschlagnahmung von Meinl-Liegenschaften scheiterte, Hausdurchsuchungen wurden für rechtswidrig erklärt. Die Rekord-Kaution von 100 Millionen Euro, die Meinl für seine Entlassung aus der Untersuchungshaft hinterlegen musste, wurde auf zehn Millionen gesenkt.
Meinl und sein Bankchef Weinzierl wurden in den vergangenen fünfeinhalb Jahren nur zwei Mal einvernommen, ein weiterer Beschuldigter überhaupt noch nie. „Bis heute wird mir keine konkrete Tathandlung vorgeworfen“, fühlt sich Weinzierl von der Staatsanwaltschaft verfolgt. „Ich will nicht spekulieren, aber die Vorgänge sind aufklärungsbedürftig.“
Mit Martin Geyer ist übrigens schon der dritte Gutachter am Werk. Seine Abberufung gelang der Meinl-Bank, die ein Dirty-Campaigning-Papier gegen ihn vorbereitet hatte, im Gegensatz zum Erstgutachter Thomas Havranek nicht. Havranek wurde wegen Befangenheit abgezogen, erhielt trotzdem für angeblich nur 23 Seiten rund 700.000 Euro Honorar. So großzügig war die Justiz bei Fritz Kleiner, dem zweiten Gutachter, nicht. Kleiner hatte seinen Auftrag entnervt zurückgelegt. Mit der Begründung, die Staatsanwaltschaft habe Druck auf ihn gemacht. Seine Honorarforderung wurde von 456.000 Euro auf rund 80.500 Euro zusammengestrichen. Kleiner legte dagegen Beschwerde ein, Ausgang offen.