wien MITTE: Stadtstaub
Jetzt,wo ich endlich zu schreiben beginne, beginnt es da draußen zu regnen. Mein Thema wäre ja "Die staubige Stadt" gewesen. Bleibt es auch, auch wenn jetzt folgerichtig und saisonal "die dreckige Stadt" daraus wird. Es war warm, windig und unendlich trocken da draußen. Der Staub war die Aura des Vorfrühlings. Ich schaffe es noch immer nicht, den Staub in Fein- und Derbstaub zu unterteilen. Stadtstaub ist bloß das, was abends von den Händen der jüngeren Kinder abgewaschen wird. Jetzt geht der Staub baden, er wird zum schlierigen Postwinterdreck. Wo der Streusplitt aus dem letzten, harten Teil des Winters gelegen ist, sind nunmehr die Kapitalen des Staubs, in den Bacherln des Regens wird das zu einer dunkelbraunen, dunkelgrauen, hellschwarzen Sauce.
April, da duscht die Stadt. Lange, unwillig zuerst, dann aber sich an das Wasser gewöhnend, immer genüsslicher werdend, schließlich erneuert, wenn das Wasser versiegt. In der Volksschule hatten wir einen, den P., kräftigen und untersetzten Sohn eines Steuerberaters, der die ärgsten Theorien hatte. Und wie ein Steuerberater vertrat er sie mit einer übermenschlichen Selbstsicherheit, sodass man es glauben musste, ob man jetzt wollte oder nicht.
Das Schwarze Meer, sagte mir P., heißt Schwarzes Meer, weil die Donau seit Jahrtausenden den Dreck aus Wien hineinspült. Bis heute neige ich dazu, dem P. zu glauben.
In den Dreck und Wasserfontänen des April gehen die Gedanken unter, und nur manche Gefühle explodieren wie unbewachte Munitionsdepots. Im Zorn und bespritzt von Regen und Dreck, sehe ich zum Beispiel die Plakate vom neuen Wiener Volksparteichef. Die in Wien eher volklose Volkspartei bringt seltsame Gesichter hervor. Der neue Chef, dessen Namen ich mir nicht und nicht merken kann, hat eine Frisur wie aus einem Heinz-Rühmann-Film, aber die Mundpartie von Rutger Hauer aus Blade Runner. Neben diesem Gesicht stehen dann Sprüche, wie der, dass Kinder nicht gleich sind, und daher auch nicht in die gleiche Schule gehen sollten. Das macht mich irrsinnig wütend. Trost aber spendet, dass es regnet, und die meisten Wiener Volksparteichefs bis zum nächsten April wieder weggeduscht sind und ihre Sprüche auch.
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