wien MITTE: Chemieunfall und Faschingsmarathon
Mit einem Chemieunfall ließ der Himmel im heurigen Jahr den Erdberger Fasching in die Erdberger Fastenzeit übergehen. Aber von Anfang an: Es ist Dienstagnachmittag. Der Faschingsmarathon ist beinahe vollbracht. Die Drittgeborene hat ihre Pfaderer-Party schon seit Montag hinter sich (weiße Katze) und ist auch vom Schulfest heimgekehrt (Prinzessin Lillifee). Ebenso der Zweitgeborene, der als Anakin Skywalker am Dienstagvormittag bei der Schulparty war und nun als Anakin Skywalker seine Pfaderer-Sause absolviert. Der Erstgeborene, wie sein Vater kein Freund von Kostümen, ging als Killer ins Gymnasium (normales Gewand, Spielzeugrevolver) und strahlte am Nachmittag bereits postkarnevaleske Entspannung aus. Nach der Hausaufgabe geleitete ich ihn runter zum Franzosengraben, wo sein Hip-Hop-Kurs stattfindet. Während er im Tanzstudio verschwand, schritt ich über Erdbergstraße und Modecenterstraße zu den Gasometern, um dort bei den netten Acoustic-Jungs in der Klangfarbe zwei Mundharmonikas zu kaufen. Die Sonne ließ sich gülden in die gut gepolsterten Wienerwaldberge fallen, ihre letzten Strahlen beleuchteten die Rauchsäule des Simmeringer Fernheizwerkes. Ich war glücklich, dankte dem Himmel für den poetischen Moment, kaufte die Harmonikas und ging retour zum Sohn. Wir kehrten heim und zehn Minuten später überstürzten sich dort, wo wir gerade noch gewesen waren, die Ereignisse. Wir sahen den großen Rettungszug und die unzähligen Feuerwehren die Landstraßer Haupt hinaufrasen, ehe wir erfuhren, was los war. In der Baum, wo sich vis-à-vis der Arena freudlose Gewerbekabuffs zum sogenannten Industriegebiet Erdberg versammeln, war Ammoniak aus einer Kühlanlage ausgeströmt. Was ist Ammoniak?, fragte die Brut. Ammoniak ist überall, sprach ich über die Stickstoff-Wasserstoff-Verbindung. Unsere Nieren verwandeln Ammoniak zum Beispiel in Lulu. Weitere Feuerwehren rasten vorbei, Verwandte und Bandkollegen riefen an und ließen sich von mir versichern, dass hier Erdberg ist und nicht Seveso. 39 Leichtverletzte lautete die Bilanz, nicht bei uns, direkt in der Baum. Schleimhautreizungen, Atemnot. Glück gehabt, alle zusammen. Wir hoffen, dass die Kabuffs jetzt ihre Leitungen richten lassen. Und jetzt Fastenzeit.
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