Meinung/Kolumnen/Mitte

Volksbefragung

Ich versuchte mir sodann das Jahr 2028 vorzustellen.

Ernst Molden
über die Volksbefragung

Während ich das schreibe, rückt die Volksbefragung herbei. Wenn Sie das lesen, kennen wir die Antwort. Im Falter stand ja, und das leuchtet mir ein, dass von den vier den Wienern gestellten Fragen nur eine NICHT rhetorisch wäre: nämlich jene, ob wir uns für die Olympischen Spiele 2028 bewerben wollen oder nicht. Über diese Frage dachte ich letzte Woche nach. Ich dachte darüber nach, während ich im Prater erstmals wieder am Wasser Gitarre spielte. Ich dachte nach, während ich den Leichenwagen über die Reichsbrücke lenkte, um im Transdanubischen meinen Freund Wilhelm und seinen selbstgemachten Marillenstrudel zu besuchen. Meine Gedanken wehten weit zurück: Ich entsann mich der Volksbefragung im Mai 1991, als die hellsichtigen Wiener die EXPO 95 ablehnten und der zweite Bezirk dennoch längst zum Spekulationsobjekt geworden und seiner Ruhe entrissen worden war. Ich versuchte mir sodann das Jahr 2028 vorzustellen. Und um nicht fehlzuspekulieren, ging ich davon aus, dass Wien dann ein bisschen mehr, aber grundsätzlich dasselbe wäre. Dann imaginierte ich mich selbst als älteren Herrn mit Gehstock in diese Szenerie hinein. In diesem Bild gehe ich dann durch Public-Viewing-Areale, gegen die jene von der Euro 2008 harmlose Gassenfeste waren. Da teile ich dann mit dem Gehstock Menschenmengen vor neu geschaffenen und dennoch überfüllten Öffis, um den Prater zu erreichen. Und bevor ich dann NICHT schwimmen gehe, weil das Stadionbad ja so nicht mehr (oder zumindest uns nicht zur Verfügung) steht, zähle ich die Praterbäume, ob mir auch ja nicht einer fehlet. Zwischendurch denke ich an meine Kinder, die dann in der Mitte ihrer Zwanziger sein werden, und überlege, ob man eh nicht eins von ihnen aus Missverständnis oder falschem Verdacht prophylaktisch einsperrt, wie das vor der Londoner Olympiade dutzendfach passiert ist. Ich glaub ja an das allmähliche und unspektakuläre Wachstum. Natürlich wollen alle, ich auch, eine Party. Aber mach ma halt eine. Schaffen wir 2028 ein Public-Viewing-Areal, in dem wir nichts betrachten außer uns selbst in unserer Hellsichtigkeit. So formt sich ein Nein auf meine Lippen, und ich gehe los.