Rettet das Funkhaus
Unlängst hab ich gleich zwei Mal den Ingenieur P. gesehen. Ein Mal, wie er, tadellos angezogen, in ernster Laune ein Erdberger Wirtshaus verließ, und dann, wie er in Gedanken die Hauptallee im Prater entlangwanderte. Der Ingenieur P. ist Tonmeister im ORF-Funkhaus. Er ist nicht nur Träger der gepflegtesten Koteletten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern auch der beste Tonmeister, den ich kenne. Ich hab ihn bei heiklen Arbeiten, live übertragenen Konzerten, On-Air-Gesprächen mit Unplugged-Musik und Ähnlichem erlebt, und immer die schlafwandlerische Sicherheit des Ingenieurs bewundert.
Und weil ich diesen Franz von Assisi der akustischen Frequenzen nun zwei Mal außerhalb seines Biotopes gesehen habe, deute ich dies als Menetekel und erhebe hier meine Stimme zu einer ernsten Frage. Die ORF-Führung möchte das Funkhaus verkaufen. Direktor Wrabetz, verzweifelter Versilberer seiner eigenen Familie, möchte die Radios und das Fernsehen am liebsten bei uns in Erdberg an einem neu zu bauenden Zentral-Schaltplatz versammeln. Dagegen steht nun eine Gruppe von Hörfunkmitarbeitern unter dem Namen "Rettet das Funkhaus" auf, und ich sage Ihnen: Die haben Recht! Das von Clemens Holzmeister für die ORF-Vorgängerin Rawag erbaute Funkhaus ist ein Tempel der gereiften Öffentlichkeit in diesem Land. Hier, wo Ö1, FM 4 und das Landesstudio Wien sich ein Dach teilen, regiert eine Stimmung, die wie wenig anderes für gereifte Öffentlichkeit steht. Dieses Radiogebäude hat mojo, womit schon Muddy Waters eine Mischung aus Zauberkraft und Sexappeal bezeichnet hat.
Es geht auch anders: Ein "modernes" Radiostudio wurde vor einigen Jahren für den "modernen" Sender Ö3 geschaffen. Als der Erstgeborene mit der Volksschule die dortige medientechnische Laubsägearbeit besuchen durfte, fragte er mich nachher: Daaas soll ein Radiostudio sein? – Nein, sagte ich, ein Radiostudio findest du in der Argentinierstraße, dort, wo mein Bekannter, der Ingenieur P., arbeitet! Aber vielleicht haben die Ö3ler einen Schreibtisch für den Herrn Wrabetz, damit er sich bei ihnen in moderner Atmosphäre beruhigt und von seinem bachenen Vorhaben wieder abkommt. Schon weil ich glaube, dass wir in Erdberg nicht Hunderte traurige ORFler verkraften können.
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