Meinung/Kolumnen/Mitte

Gleich kommen sie

Ein gewittriger Tag schenkt mir seine zweieinhalb schönen sonnenstrahlenden Stunden zu einer Zeit, wo ich was mit ihnen anfangen kann. Nachmittag. Ich sitze mit dem Banjo auf dem Schlafzimmerbalkontscherl, zwischen den Töpfen mit den (ja!) mittlerweile verschwenderisch blühenden Gertrude-Jekyll-Rosen. Unter mir zieht der lange, ruhige Fluss der Landstraßer Haupt dahin. Autistisch brummt der 74 A. Fröhlich plaudern zwei Sikhs mit prächtigen Turbanen. Emsig bricht Nachbarin H. Richtung Osten auf, nach Simmering, zum Rosengärtner. Soll i da a Steggerl mitbringen. – Danke, danke nein, unsere sind noch immer nicht verdörrt. Im drängenden, bereits das nächste Gewitter ahnenden Wind treibt ein unverkennbar lilanes, aufgerissenes Panini-Pickerl-Packerl durch unsere Gasse. Genau, Europameisterschaft.

Und unversehens wird der Fluss Landstraßer Haupt zum Fluss Zeit. Vor vier Jahren waren die Kinder noch mehrheitlich Kindergartenkinder. Wir lebten noch in der alten Mitte, beziehungsweise hatten wir die neue Mitte noch nicht bis Erdberg gedehnt. Wir fuhren noch keinen schwarzen Leichenwagen, sondern so etwas wie ein weißes Elektroboot. Earl Scruggs und Doc Watson lebten noch, und die Fußball-EM war in Wien. Am Anfang mussten die Unseren ja sogar mitspielen, das war etwas stressig. Dann konnten wir uns zurücklehnen, ich erinnere mich an einen polnischen Fan, der volltrunken an einer 74-A-Station saß und weinend das Wort Polska! hervorstieß. Jetzt hat der den Stress zuhause.

Ich erinnere mich, wie die Liebste und ich zum Ring hinunterwanderten, was uns damals sieben Minuten kostete, um in der glückstriefenden Schlammlawine eines türkischen Siegeszuges zu baden. Ich weiß noch, wie der Karlsplatz genau damals zu einem dort noch nicht gekannten Leben erwachte, mit den zur Euro rasch organisierten und dann vor allem von den Wienern so genossenen Freiluftkonzerten. Daraus wurde dann das Wiener Popfest, während die EM weiterzog, ostwärts. Oag, denke ich, in den Fluss Zeit starrend.

Ich schicke noch einen verminderten Akkord über die Landstraßer Haupt, und gehe ins Wohnzimmer, Panini-Pickerl-Packerln klauben. Ich muss mit

den Kindern reden. Gleich kommen sie eh.

Alle aus der Schule.

ernst.molden(at)kurier.at