Fleischfarbene Daumen mit grünen Punkterln
Zu sagen, dass die Liebste und ich grüne Daumen hätten, wäre falsch. Wir haben, tja, fleischfarbene Daumen mit grünen Punkterln. Das heißt: Gärtnerische Aufgaben gehen uns eher schlecht denn recht von der Hand. An der Außenseite unserer Erdberger Wohnklippe kleben zwei kleine Romeo-und-Julia-Balkontscherln, und im Frühling schreiten wir zu ihrer Begrünung. Imperativisch wirkt sich der geradezu leuchtend-grüne Daumen der Nachbarin über uns aus, die auf ihren beiden identen Balkontscherln eine verschwenderische Fülle von Pflanzen zieht, von Oleander über Rosen und Margeriten, bis hin zu einem reizenden kleinen Obstbaum im Trog. Bei uns ist es schwieriger: Alles, was im letzten Jahr am Balkon stand und prangte, ist uns über den Winter verdorben. Der Lavendel, der Topfbambus und die beiden Rosen. Die Rosen hatten es bis ins kühle Stiegenhaus geschafft. Dort aber begannen sie nach Weihnachten auszutreiben, das machte uns nervös und wir hörten auf zu gießen. Und so starben sie.Drum brachen wir letztes Wochenende auf zur Simmeringer Heide, zur Gärtnerei. Mir kam der alte Travnicek-Dialog in den Sinn, wo Qualtinger in der russischen Steppe war und Bronner ihn fragt: "Die unendliche Weite des Landes muss doch ein einmaliges Erlebnis gewesen sein?" – "Wieso?", antwortet Qualtinger/Travnicek, "die Simmeringer Heide ist auch kein einmaliges Erlebnis." Stimmt nicht. Gerade die Pflanzen- und Gärtnerbedarf-Filiale weckte vor allem in den Kindern kreischend geäußerte Bedürfnisse. Die Drittgeborene wollte ein Windrad, den Erstgeborenen reizte der Verruchtheit halber die Zierhanfpflanze und der Zweitgeborene wollte einfach Einkaufswagerlfahren, immer ganz hart an den Stapeln mit den Terrakottatöpfen vorbei. Währenddessen versuchten die Liebste und ich, Rosensorten auszuwählen. Unser Blick strich über "Ingrid Wendl", "Stadt Wien" und – die Achtziger sind noch immer hip – die "Heckenrose Dr. Waldheim". Letztendlich entschieden wir uns für "Gertrude Jekyll" und, als Hommage an meine Verlegerin, für ein Exemplar von "Souvenir de Marcel Proust". Deren vier blattlose Stammerln ragen jetzt trist aus der schwarzen Erde, draußen am eisigen Balkon. Misstrauisch starre ich sie an.
ernst. molden(at)kurier.at