Eltern
A. ist Elternvertreter in der Klasse des Erstgeborenen. A. ist Opernsänger und ein ausgezeichneter Elternvertreter. Die halbwichtigen Sachen winkt er mit exakt der richtigen Nonchalance durch, die wichtigen vertritt er mit herzenserwärmender Empathie. Halbjährlich lädt er das Elternrund (optional: mit Kindern) zu poetisch angelegten Treffen, einmal im Frühsommer zum Weidlinger Heurigen, jüngst aber zum Drachensteigen auf die Steinhofgründe. Obwohl mir Eltern im Allgemeinen Angst machen, ging ich jetzt schon zwei Mal mit, weil der A. das so leiwand organisiert.
Auf den Steinhofgründen lag die matte Oktobersonne wie eine schläfrige Zunge. Der Wind war genau stark genug, um die Kinder mit falschen Versprechungen drachenmäßig bei der Stange zu halten, aber auch nicht zu verlässlich, so dass sie sich hätten entspannen und auf blöde Gedanken kommen können. Zur Zufriedenheit der Liebsten unterhielt ich mich nicht nur artig, sondern gern mit anderen Eltern, sprach mit der einen Mama über Geschwisterproblematiken, mit der anderen über guten Tabak, parlierte mit dem einen Papa über Sport, mit dem anderen über Bier.
Dann wollte A. seinen kühnen Plan durchführen, mit einem mitgebrachten Gusseisengriller Würschtln zuzubereiten, aber Passanten machten ihn darauf aufmerksam, dass man ihn dann aufhängen würde, noch bevor die Polizei da wäre, weil: Nix Grillen am Steinhof. Aber wie durch ein Wunder fanden wir außer- halb der Mauer mitten im Wald den wahrscheinlich schönsten Grillplatz der Welt, eine abfallende Wiese zwischen Bergahornen und Eschen. Träumend saßen im Zwielicht türkische Familien, regungslos wie Gruppenskulpturen. A. machte Feuer, aus Feuer wurde Glut, aus Würschtln wurden Bratwürschtln. Eine polnische Mama sang wunderschöne, tieftraurige Lieder, das letzte Licht floss aus dem Tag wie gebrauchtes Badewasser, und Fledermäuse nahmen den Luftraum über der Lichtung ein.Zum Abschied dankte ich A. Weißt du, raunte ich, Eltern machen mir im Allgemeinen Angst. Mir auch, flüsterte er, aber die hier sind super. Eh, sagte ich überzeugt. Total. Dann rief ich ein Kinder, gemma! in die Dämmerung. Die Drittgeborene fraß das letzte Bratwürschtl. Die Nacht fraß den Wienerwald.ernst. molden(at)kurier.at