Meinung/Kolumnen/Mitte

Die späten Achtziger

Das einzige Lokal, dem ich die ganze Zeit über treu blieb, war kein Lokal, sondern ein Friseursalon, jener des Erich Joham in der Griechengasse.

Ernst Molden
über den Frisör Erich

In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern des versunkenen Jahrhunderts lebte ich im Ersten, welcher damals noch durchaus sein Mojo Workin’ hatte, in den Worten von Muddy Waters. Ich suchte oft Lokale auf, aber nie für lang.

Aus manchen flog ich hinaus, andere wurden mir fad. Das einzige Lokal, dem ich die ganze Zeit über treu blieb, war kein Lokal, sondern ein Friseursalon, jener des Erich Joham in der Griechengasse. Dort ging ich schon damals immer hin, vormittags und abends, dort trank und rauchte ich, dort sperrte ich die Ohren auf, kehrte ich die Geschichten zusammen, die auf dem Boden lagen, tausendfach wie die Haare der Kunden. Und dort, glauben Sie’s mir oder nicht, habe ich die Liebste kennengelernt.

Letzte Woche, siebzehn Jahre später, war ich wieder dort, mit den Buben. Der Erstgeborene lässt sich nicht mehr von mir dir Haare schneiden, dafür vom Erich, und der Zweitgeborene kam diesmal mit, um sich dies einmal anzuschauen. Der Erich schaute meine Buben amüsiert an und drückte ihnen eine Softgun-Uzi in die Hand: „Hobts wos zu Schbüün!“ Dann schnitt und redete er. Er schneidet und redet stets. Grundsätzlich gehört ja hier Folgendes gesagt, und zwar allen jenen, die behaupten, den Erich nicht auszuhalten, weil der ja „überall dabei“ sei: Der Erich kann, ja er muss überall dabei sein, selbst unter den Lemuren, weil er der Erzähler ist. Das Lemurige wird abperlen von ihm, wie Wasser vom Speckstein, und die Geschichten werden klebenbleiben.

Der Rabenhofdirektor hat es unlängst schlau gesagt: Wer einmal wirklich verstehen will, was am Ende des 20. Jahrhunderts in Wien passiert, wird das Archiv vom Erich öffnen müssen. Ein paar haben das schon früh erkannt: Peter Weibel, der den Erich einst als Co-Professor an die Angewandte holte oder Wolf Wondratschek, der einen Roman über ihn schrieb.Und diesmal: Während der Erich mir erzählte, schuf er meinem Großen quasi nebenbei eine 1-A- Frisur, eine Mischung aus Erich Kästner und Elektropop. Zum Schluss sagte er, irgendwie besorgt: „Im Rathaus gebns ma des Goldene Ehrenzeichen. Schau vorbei, mit da Gitarr!“

ernst.molden@kurier.at