Meinung/Kolumnen/Mitte

Daheim im August - Teil 2

Und schon sind wir im Neunzehnten. Hier, am Anfang des Beethovengangs steht das erste Naturdenkmal meines Lebens, eine kapitale Pyramidenpappel (Populus nigra italica), unweit einer Statue des Heiligen Nepomuk. Hier wandelte Ludwig van Beethoven gern, heißt es. Oder doch nicht? "O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig störisch oder Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir." So schrieb er im Jahre 1802 in einem Winzerhaus in der Heiligenstädter Probusgasse an seine Brüder. Beethoven, zunehmend ertaubend und an Koliken leidend, glaubte, dass sein Ende nahte, und schritt zur Ordnung der letzten Dinge. Und so erklärte man das Schreiben später zum Heiligenstädter Testament, obgleich Beethoven noch ein Vierteljahrhundert leben sollte.

In Heiligenstadt, wo ich aufwuchs, ist Beethoven allgegenwärtig, auf überschaubarem Raum stehen zwei Beethoven-Denkmäler und unzählige Beethoven­häuser, ehemalige Bleiben des Musikers, die dieser, weil er der Schwerhörigkeit wegen so laut Klavier spielte, jeweils bald wieder hatte verlassen müssen. Und dann gibt es noch diesen Spazierweg, den Beethovengang am Schreiberbach. Überschattet von der großen, gleichmütig sich wiegenden Pappel.

Hier liegt die Stätte eines meiner ärgsten kindlichen Vergehen: Aus dem Schatten dieser Pyramidenpappel schoss ich nämlich mit dem Kittröhrl einer alten Dame die Brille entzwei. Diese mürrische Dame, die im Verbund mit einem herrischen Airdale-Terrier auftrat, ging vorbei. Ich zielte und traf die hochtoupierte Frisur der Dame. Sie schrak zusammen, dabei fielen die Augengläser runter und gingen kaputt. Die Tante ging zur Polizei, ich musste mich entschuldigen, mein Vater den Schaden begleichen. Aber mein Ruf als Kittröhrl-Scharfschütze wuchs ins Unermessliche, weil man davon ausging, dass ich die Brille direkt getroffen hatte. Ich gab sogar jüngeren Buben Kittröhrl-Stunden. Unser Übungsziel: Die pechschwarze Frisur der pechschwarzen Büste an der sogenannten Beethovenruhe, am oberen Ende des langgestreckten Parks.

"Selbst der Hohe Muth – der mich oft in den Schönen Sommertägen beseelte – er ist verschwunden", hatte der Komponist geschrieben. Fortsetzung folgt.

ernst. molden(at)kurier.at