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Tagebuch: High Noon um 3 Uhr

Wenn Muhammad Ali gegen Joe Frazier boxte, hockten um drei Uhr früh mehr Leut' vor den TV-Geräten als heute bei so manchem Prime-Time-Quiz. Wir waren eben noch nicht so verwöhnt. Immer wieder gab es Tonstörungen. Die Bilder aus den USA flimmerten in minderer Schwarz-Weiß-Qualität über die Schirme. Schwarz auf weiß ist immerhin belegt, dass Ali am 8. März 1971 in der letzten Runde gegen Frazier erstmals in einem WM-Kampf auf die Bretter musste. Und das, obwohl Frazier um neun Zentimeter kleiner war. Und gar um 20 Zentimeter kleiner als ein gegenwärtiger Champion wie Vitali Klitschko. Frazier gewann den 15-Runder gegen Ali nach Punkten. Dazwischen klebten die muskelbepackten Körper wiederholt aneinander. Es wurde sehr wohl auch geklammert und nicht pausenlos so aufeinander eingedroschen, dass auch die niedrigsten voyeuristischen Instinkte befriedigt wurden. Trotzdem ging das New Yorker Duell zwischen Frazier und Ali als "Kampf des Jahrhunderts" in die Boxgeschichte ein. Wir waren eben noch nicht so verwöhnt. Heute wird unsereiner via TV und YouTube mit den wildesten Prügeleien, den ärgsten Stürzen und den amüsantesten Hoppalas dermaßen inflationär konfrontiert, dass einen bei einem 90-Minuten-Fußball-Match, einer Ski-Übertragung in voller Länge oder einem unblutigen Boxkampf schon Langeweile überkommt. Den Kampf des Jahrhunderts erlebte ich in einer verrauchten, überfüllten Bahnhofskantine in Bologna. Ich bekam um drei Uhr früh nur noch einen Stehplatz beim Zwischenstopp auf meinem (großteils autobahnlosen) Weg zum Ski-Finale nach Abetone. Vier Tage später wurde dort Annemarie Pröll mit 17 zum ersten Mal Gesamtweltcupsiegerin. Zur Sportlerin des Jahres wurde Annamirl 1971 dennoch nicht gewählt, weil sie mit Ilona Gusenbauer übermächtige Konkurrenz aus einer Elementarsportart bekam. Gusenbauer erzielte mit 1,92 Metern Hochsprung-Weltrekord. Wir waren vor 40 Jahren eben doch verwöhnt.

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