Meinung/Kolumnen/Stadtgeflüster

Unausgesprochen

Mit dem Tod setzen wir uns nicht auseinander. Bis er da ist.

Anna-Maria Bauer
über Friedhofsbesuche und den Tod

Zwei Holzkreuze, dicht nebeneinander in den Boden gesteckt. Über der frisch aufgeschütteten Erde ein Blumenkranz. Auf dessen Schleife die Worte: "Jetzt seid ihr wieder vereint".

Ein mit Efeu bepflanztes Grab. Zwischen dem Gewächs lugt Spielzeug hervor; ein Windrad, ein Lastwagen, eine Keramikeule. Daniel, 2003-2013.

Eine schwarze Steinplatte von weißen Steinrosen umrahmt. Über den Namen der Verstorbenen der eingravierte Satz: "We’re not here, we’re home."

Wenn ich übernachtig bin und meinen Kopf auslüften möchte, gehe ich oft auf den Friedhof. Ich weiß nicht genau, warum. Ich finde diese ewigen Reihen von Gräbern beruhigend und beunruhigend zur gleichen Zeit. Alle der Gräber gleich und doch so unterschiedlich, wie die Personen, dessen menschliche Hülle hier beerdigt wurde, einmal waren. Manche mit perfekt getrimmtem Rasen, manche mit Rosenbüschen, manche mit polierter Marmorplatte, andere vergessen, abgesunken, mit porösen Grabsteinen, die am Umkippen sind oder es schon getan haben.

Ich gehe die Reihen entlang und lese die Inschriften. Manche berühren mich, manche geben mir Kraft, manche machen mich traurig. Ich frage mich, wie lang das Ehepaar, das jetzt wieder vereint ist, zusammen war? Wie Daniel gestorben ist, war es ein Unfall, eine Krankheit?

Es fühlt sich falsch und voyeuristisch an, diese Fragen zu denken. Der Tod ist ein Tabuthema. Rund um Allerheiligen häufen sich zwar die Friedhofsbesuche, Blumensträuße werden gebracht, Kerzen ausgetauscht, Unkraut gejätet. Aber mit dem Tod setzen wir uns nicht auseinander. Bis er da ist.

Ein guter Freund hat vor Kurzem seinen Vater verloren. "Es fühlt sich nicht an, als wäre er tot", meinte er irgendwann. "Eher als wäre er auf Reisen." Wie alt er war, wollte ich wissen. "Er wird im Dezember 58", sagte er.

Ich glaube, es fiel ihm gar nicht auf, dass er noch die Gegenwartsform verwendet hat.