Meinung/Kolumnen/sex in der freizeit

Wunderwerk im Schritt

Höchste Zeit für eine andere Sicht der Dinge "da unten".

Gabriele Kuhn
über sexuelle Aufklärung

Wenn’s um sexuelle Aufklärung geht, wurden Generationen junger Menschen mit lehrtafelartigen Bildern abgespeist – so als wäre der Körper ein Auto und wir die Mechaniker, die den Nippel durch die Lasche ziehen. Ohne Öl, versteht sich. Da hatte der Satz „Und dann dringt der männliche Penis in die weibliche Vagina ein“ schon allerhöchstes Aufregerpotenzial. Der Rest? Ein staubtrockener und seelenloser Exkurs in Spermienbeschaffenheit, Eierstockanatomie, Empfängnisverhütung und Tripperprophylaxe. Weiters ist zu fürchten, dass alles an erotischem Glück auf das Fundamentalereignis seines Eindringens reduziert wird. Immer noch gilt: Rein muss er, dann ist alles gut. Klitoris? Klar, schon gehört. Da, das Punkterl auf der weiblichen Genitallandkarte – hier die großen, da die kleinen Schamlippen, Harnröhre, Vagina, blabla. Und eben dieses Knopferl da, die Klitoris – Kitzler genannt. Dann fragt man sich kurz, welcher Vollkoffer sich das Wort Kitzler einfallen hat lassen und hört den Jungs zu, wie sie protzen, wie oft sie sich am Tag einen runterholen. Und während die Buben drauflos spielen, wartet sie mit dem „Knopferl da unten“ noch heute auf einen Märchenprinzen, der irgendwas in ihr wachküsst. Die Klitoris ist einfach unverstanden. Vielleicht ist das auch so, weil der Penis im Allgemeinen nach wie vor als Big Ben der Sexualität gilt. Ohne ihn scheint die Frau nix, ohne ihn scheint wenig zu gehen. Deshalb hält sich der Mythos, sein Eindringen wäre unverzichtbare Ingredienz weiblicher Lust. „Phallisch dominiertes System“ nennen Feministinnen das und ärgern sich, dass Mädchen immer noch als Gebärmutter-Besitzerinnen auf die Funktion des Empfangens, Austragens und Werfens reduziert werden. Zwar hüpfen uns sexuell konnotierte Botschaften allerorts entgegen und wir tun so, als wäre dies ein Indiz für sexuelle Lässigkeit, aber am Ende ist doch noch alles recht retro. Ach ja: Gerne wird die Klitoris mit dem Penis verglichen. Aber nie sagt jemand: Der Penis ist eine Art Klitoris. Dinge ändern sich – in Frankreich etwa wollen Frauenrechtlerin nun das Wunderwerk im Schritt als Sinnbild für weibliche Sexualität positionieren. Dazu würde gehören, dass Mädchen im Sexualkundeunterricht lernen, welch enorme Bedeutung die Klitoris für die Lust hat. Die französische Wissenschaftlerin Odil Fillod hat deshalb ein dreidimensionales Modell der weiblichen Klitoris als 3D-Print entwickelt, das im Aufklärungsunterricht zum Einsatz kommen soll. Schöne Idee – weil es höchste Zeit ist, dass Frauen wie Männer möglichst früh wissen, was das Ding kann und wie wichtig es für gelingende Sexualität ist. Wo sich die Idee, ein Orgasmus käme alleine vom Rein Raus, nach wie vor ziemlich gut hält. Wer versteht, auf der Klit-Klaviatur zu spielen, kann also nur gewinnen. Es war übrigens die Australierin Helen O’Connell, die die Klitoris in ihrer gesamten Dimension erfasste. Als Lustorgan, das mit seinen Ausläufern tief ins weibliche Becken reicht. Deshalb empfahl sie eine Neubenennung – in Klitoris-Komplex. Von dem nur die Spitze des Heiß-Bergs sichtbar ist – und dem Alice Schwarzers EMMA-Magazin immerhin ein ganzes Dossier widmete. Titel: Klitoris – die Königin der Lust.gabriele.kuhn@kurier.at